Schwäbisches Tagblatt: Germanische Medizin
Schwäbisches Tagblatt, 13.05.2005
Germanische Medizin
Morgen Demo für selbst ernannten Wunderheiler
Tübingen (jol). Ein Arbeitskreis „Germanische Neue Medizin“ mobilisiert bundesweit für eine Demonstration, die am morgigen Samstagnachmittag durch die Tübinger Innenstadt führen soll. Im Mittelpunkt stehen umstrittene Thesen des selbst ernannten Wunderheilers Ryke Geerd Hamer.
Unrühmliche internationale Bekanntschaft erwarb sich Ryke Geerd Hamer vor zehn Jahren, als auf seinen Rat Eltern die Krebsbehandlung ihrer Tochter in einem österreichischen Krankenhaus abbrechen ließen und sich von dem schon damals umstrittenen Mediziner Heilung in Spanien erhofften, wohin dieser sich zurückgezogen hatte. Der Zustand der sechsjährigen Olivia verschlechterte sich zusehends. Nach monatelangen Streitigkeiten und einem Gerichtsurteil wurde sie aus den Händen Hamers befreit und nach Wien in die rettende Klinik überführt. Hamer, dem 1986 ein Kölner Gericht die ärztliche Zulassung aberkannte, wurde vorigen Herbst von Spanien nach Frankreich ausgeliefert, wo er seither eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen Betruges und Beihilfe zur illegalen Arzttätigkeit absitzt. Wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz hatte ihn das Kölner Landgericht schon 1997 zu 19 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.
Ryke Geerd Hamer, 69, studierte in den 1950er Jahren in Tübingen Medizin und evangelische Theologie. 1964 bis 1966 praktizierte er als Arzt in Hirschau, als Facharzt für Innere Medizin arbeitete er zeitweise auch an der Medizinischen Klinik Tübingen.
Im Sommer 1978 schoss Prinz Vittorio Emmanuel von Savoyen bei Korsika auf Hamers 19-jährigen Sohn, der nach viermonatigem Todeskampf starb. Kurz darauf erkrankte Hamer an Hodenkrebs, der er als biologischen Konfliktschock diagnostizierte. Geheilt wurde er durch eine Chemotherapie in Tübingen.
Gleichwohl entwickelte der Mediziner seine Theorie der „Eisernen Regel des Krebses“. Sie besagt, dass unvermutet hereinbrechende psychische Konflikte zu Krebserkrankungen führten, deren Heilung möglich sei, wenn es gelänge, den Konflikt zu lösen. Andere Therapiemaßnahmen seien nicht notwendig. Seit 1981 will Hamer mit seiner Wunderlehre an der Universität Tübingen habilitiert werden. Die 200seitige Schrift über seine Krebstheorie lehnte die hiesige Medizinische Fakultät im Mai 1982 ab. Wegen eines Formfehlers der Fakultät konnte er gerichtlich eine Wiederholung des Habilitationsverfahrens durchsetzen – jedoch ohne Erfolg.
Neuerdings agiert Hamer im antisemitischen Umfeld. Zur Demo um 13 Uhr wird mit der Behauptung aufgerufen: „Seit 1984 praktizieren alle Juden auf dieser Welt die Germanische Neue Medizin®, die aber gegenüber Nichtjuden aus Gründen des Profits nicht angewendet werden darf.“