Kurier: Kurzfristigkeit und Gier

Kurier, 09.12.2005

Von Kurzfristigkeit und Gier
Das von dieser Generation gelebte Motto „Nach uns die Sintflut“ droht buchstäblich in Erfüllung zu gehen, warnt Jakob von Uexküll, Gründer des Alternativen Nobelpreises.

Er denkt gegen den Strich und will die Welt verbessern: Jakob von Uexküll. Der Deutsch-Schwede gründete den Welt-Zukunftsrat und rief vor 25 Jahren den Alternativen Nobelpreis ins Leben. Der renommierte Preis wird am Freitag an Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten verliehen. Der KURIER traf den 61-Jährigen, der für eine Vortrag im Zuge der Wiener Vorlesungen in Wien war.

KURIER: Hat Ethik gegen eine globale Ökonomie eine Chance?

Jakob von Uexküll: Wir stehen jeden Tag vor der Entscheidung, ob wir als wache Bürger durchs Leben gehen oder den verführerischen Traum des globalen Konsumenten weiterträumen wollen, bis alles zu spät ist. Wir werden von einer Ideologie der Kurzfristigkeit und Gier beherrscht. Es ist schwierig, Werte wie Liebe, Großzügigkeit und Mitmenschlichkeit in einer Gesellschaft zu praktizieren, deren Regeln, Informationsströme und Institutionen auf geringerer menschliche Qualität ausgerichtet sind.

Aber es gelingt tagtäglich mehr Menschen, diese Werte zu leben. Unsere Vorfahren hatten sicher auch Druck, aber sie haben so gelebt, dass wir heute auch noch existieren können. Sie hatten einen Wert durch alle Generationen: Dass man eine bessere Welt und keine schlechtere an seine Kinder übergibt. Wir sind die erste Generation, die nach dem Motto lebt: „Nach uns die Sintflut“ – die ist jetzt durch die Klima-Erwärmung buchstäblich zu nehmen.

Was kann der Einzelne tun?

Wir können uns diesem System verweigern. Es ist uns überlassen, ob wir den globalen Konsumzwängen folgen oder nicht, ob wir unseren Kindern Nike-Schuhe kaufen, weil sie sagen, dass sie sonst gemobbt werden.

Was kann die Politik tun?

Andere Normen setzen, das ist die Idee des Welt-Zukunftsrates. Wir brauchen eine starke Stimme, die für unsere Werte als Bürger spricht. Derzeit werden wir von Politikern nur in unserer begrenzten Eigenschaft als Konsumenten vertreten. Aber wir können selbst entscheiden, als erwachsene, reife Menschen durchs Leben zu gehen und nicht als leicht beeinflussbare, unzufriedene Teenager oder Erwachsene.

Würden die Menschen wissen, was da von den Regierungen in ihrem Namen beschlossen wird, würden sie sich entsetzt auflehnen. Wir machen die Reformdiskussion in Europa lächerlich. So bedeutet das Wort Reform „angelsächsische Verhältnisse“ – ich lebe in Großbritannien und weiß, wie da die Menschen angeblich reicher wurden, aber sozial und ökologisch verarmt sind. Das gilt auch für die USA. Dennoch wird es als das Fortschrittsmodell angesehen. Es ist Zeit, dass die Europäer selbstbewusster ihr Modell vertreten, das Modell der „Kooperation für das Beste“ gegenüber dem US-Modell des „Wettbewerbs für das Billigste“.

Ist China die Zukunft, wie viele meinen?

Wenn uns gesagt wird, die Zukunft sei China, ist das grotesk und naiv. Die Chinesen selbst – auch die Mitglieder der chinesischen Regierung – warnen längst, dass durch die Umweltzerstörung die Grenzen der Wirtschaftswunder schon erreicht worden sind. Die Luft ist nicht mehr zu atmen in Südchina, das Wasser verschmutzt, das Ackerland durch Erosion zerstört. Was machen wir mit den Millionen Umweltflüchtlingen, die auf uns zukommen? Unsere Kinder werden fragen, ob wir verrückt oder kriminell waren.

Die Frage ist, wie wir uns vor dem Zusammenbruch retten. Der kommt ja sehr schnell auf uns zu. Britische Wissenschaftler meinen, dass der Golfstrom die Richtung ändert oder seine Funktion verliert durch das Schmelzen des Grönland-Eises.

Der Film „The Day After Tomorrow“ konnte in Ländern wie Großbritannien innerhalb von Jahren und nicht Jahrzehnten Wirklichkeit werden. Vielleicht müssen ganze Länder evakuiert werden.

Gleichzeitig wird man auf eine Politikerklasse stoßen, deren Glaubwürdigkeit schon jetzt minimal ist und dass verschwunden sein wird, weil die Menschen sehen, dass sie betrogen wurde.

Von wem?

Die Weichen werden im Interesse einer kleinen Minderheit gestellt. Da hat ein Staatsstreich einer privilegierten Minderheit stattgefunden gegen die große Mehrheit der Weltbevölkerung.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es noch ein rechtzeitiges Umdenken gibt?

Es ist noch nicht fünf vor zwölf, aber in einer Reihe von Gebieten sehr kurz vor zwölf. Besonders wenn wir den Klimawandel ansehen, Wasser wird knapp, die Erosion von Ackerland ist viel schneller fortgeschritten als vorausgesehen, die globalen Ölvorräte sind bald erschöpft.

Welche Rolle spielt der Glaube, die Religion?

Eine große. Früher gab es Strukturen, die Werte-Hierarchien geschaffen haben. Heute leben viele mit einer Privatreligion und konsumieren nebenbei.

Die Kinderrate in Europa sinkt stetig. Ist das eine Folge des Werteverfalls?

Sicher. Wer will denn in diese Welt Kinder setzten? Es gibt auch Menschen, die sagen, sie können sich keine Kinder mehr leisten, das ist natürlich auch ein Druck dieser Konsumgesellschaft.

Die reichsten Generationen, die je in der Geschichte gelebt haben, können sich das Elternsein nicht leisten... keine Kinder, keine Großeltern, weil die Pensionen so teuer sind. Sie können sich den Umweltschutz nicht leisten, es sich nicht leisten, auf dieser Erde zu leben

Interview: Ulrike Botzenhart

Die Alternativen Nobelpreise werden auf Initiative von Jakob von Uexküll seit 1980 vergeben. Gewürdigt werden vor allem Leistungen beim Umweltschutz, der Bekämpfung von Armut und sozialer Gleichheit, der Durchsetzung der Menschenrechte und dem Schutz der Minderheiten.

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Alternativer Nobelpreis

Eine Briefmarkensammlung kann die Welt verändern

Traditionell einen Tag vor der Nobelpreis-Vergabe in Oslo werden heute die insgesamt mit umgerechnet 220.000 Euro dotierten Alternativen Nobelpreis vergeben. Mit den diesjährigen Preisträgern – Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten aus Kanada, Malaysia, Botswana und Mexiko – wolle die Stiftung auf „kulturelle Vielfalt und Gerechtigkeit durch fairen Handel hinweisen“, sagt Jakob von Uexküll.

Der heute 61-jährige studierte Philosoph, Politologe und Ökonom und Ex-Europa-Abgeordneter (für die deutschen Grünen) hat den Preis ins Leben gerufen: Mit dem Erbe einer wertvollen Briefmarkensammlung wollte er einen Nobelpreis für Ökologie und Entwicklung finanzieren. Doch der Vorstand der Nobelstiftung lehnte ab, also gründete Uexküll 1980 die Stiftung „Right Livelihood Award“ – besser bekannt als Alternativer Nobelpreis.

Dieser soll „die Preisträger ehren, unterstützen und bekannter machen, damit ihre Arbeit verbreitet wird. Und er soll Hoffnung machen“, betont Uexküll.

Unter den Preisträgern waren etwa die Salzburger Robert Jungk und Leopold Kohr, der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, der israelische Friedensaktivist Uri Avnery oder die kenianische Umweltschützerin Wangari Maathai. Im Vorjahr, also 20 Jahre später, erhielt sie den Friedensnobelpreis.

Welt-Zukunftsrat

Jakob von Uexküll verfolgt längst sein nächstes großes Projekt: Ein Welt-Zukunftsrat soll dazu beitragen, eine bessere, faire Welt zu schaffen; er soll sich „als Stimme der globalen Vernunft“ für gemeinsame menschliche Werte und Traditionen einsetzen. Der Rat könnte aus 50 bis 100 „angesehenen Weltbürgern“ bestehen. Sie sollen aus verschiedenen Ländern, Lebensbereichen und Glaubensrichtungen kommen und alle Altersschichten von den Jungen bis zu den „Weisen Alten“ repräsentieren.

Jakob von Uexküll schwebt vor, dass dieser Welt-Zukunftsrat als globales Gewissen fungiert und sich kurzfristiger Habgier, Trägheit und Gleichgültigkeit entgegen stellt.

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