Stellungnahme Sökler

Deutsche Krebsgesellschaft e.V.
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05.07.2005 – Stellungnahme

Gutachterliche Stellungnahme für die Deutsche Krebsgesellschaft zur „Germanischen Neuen Medizin® (GNM)“, begründet von Dr. med. Ryke Geerd Hamer

Zur Verfügung stehende Quellen:

Vorbemerkung und Inhalt:
Bereits nach kurzer Lektüre der Texte von und über Herrn Hamer wird deutlich, dass es sich bei dem Konstrukt der „GNM“ um ein unhaltbares, abstruses, un- und pseudowissenschaftliches Gedankengebäude handelt. Dennoch ist es aufgrund der gefährlich ausgedehnten Verbreitung der Theorien über das Internet und leider mehrerer gut dokumentierter Todesfälle von Patienten, die ihm vertrauten, wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Zunächst wird eine Darstellung des Gegenstandes erfolgen, dann eine Bewertung des Grundgedankens, eine Übersicht über die bisher erfolgten Rechtsauseinandersetzungen, eine kurze Ausführung über antisemitische Zusammenhänge und eine abschliessende Bewertung.

Schilderung des Gegenstands und der Historie der „Germanischen Neuen Medizin“ von R. G. Hamer
Nach mit Dr. med. Ryke Geerd Hamer namentlich gekennzeichneten Textbeiträgen im Internet wurde Herr Hamer 1935 geboren. Er studierte Theologie und Medizin und erhielt mit 26 Jahren die Approbation als Arzt und den Dr.-Grad, danach folgten Zeiten als Assistenzarzt an den Universitätskliniken von Tübingen und Heidelberg bis zur Anerkennung als Facharzt für Innere Medizin 1972. Später war Herr Hamer zeitweilig in einer Gemeinschaftspraxis mit seiner Frau, Frau Dr. Sigrid Hamer, tätig. Herr Hamer hatte vier Kinder, der älteste Sohn Dirk wurde am 18. August 1978 durch eine Schussverletzung schwer verletzt und verstarb 4 Monate später am 07.12.1978 an den Folgen der Verletzung. Wenige Monate später erkrankte der Vater Ryke Geerd Hamer an Hodenkrebs, weshalb er operiert wurde.

In den folgenden Monaten entwickelte Herr Hamer, inspiriert durch Träume von seinem Sohn Dirk, eine Theorie über die Entstehung von Krebserkrankungen, die er als „Eiserne Regel des Krebses“ zusammenfasste und als – abgelehnte – Habilitationsschrift bei der Medizinischen Fakultät Tübingen einreichte. Kernbestandteil dieser Theorie ist, dass der Auslöser jeder Krebserkrankung ein hochdramatisches Schockerlebnis ist, von Herrn Hamer DHS („Dirk-Hamer-Syndrom“) genannt - wie eben in seinem Falle der Verlust seines Sohnes. Dieses Schockerlebnis hinterlässt nach Hamers Theorie Spuren im Gehirn, die mittels einer CT-Untersuchung detektiert werden können. Nach einer konfliktaktiven Phase folgt nach der Theorie, falls eine Lösung des zugrundeliegenden „biologischen Konfliktes“ gelingt, die Heilungsphase. Gelingt keine Konfliktlösung, bleibt der Patient in einer „Dauerstressphase mit Verbrauch seiner Lebensenergien“, dann ist der Tod des Patienten „in der Kachexie“ möglich.

Im weiteren erfolgte eine Verallgemeinerung dieses Prinzips durch Herrn Hamer auf andere Erkrankungen, ja die gesamte Medizin. Er formulierte fünf biologische Naturgesetze („1. Die Eiserne Regel des Krebses, 2. Das Gesetzt der Zweiphasigkeit aller Erkrankungen, 3. Das ontogenetische System der Tumoren, 4. Das ontogenetisch bedingte System der Mikroben, 5. Das Gesetz vom Verständnis einer jeden sogenannten Krankheit“).

Als Schlussfolgerung aus der geschilderten Theorie zur Krebs- bzw. allgemeinen Krankheitsentstehung aus Konflikten wird die Therapie von Erkrankungen und insbesondere von Krebserkrankungen in der Lösung des zugrundeliegenden Konfliktes gesehen. Die Konfliktlösung führt zur Ausheilung der Tumorerkrankung, eine schulmedizinische Behandlung wird nicht nur als unnötig, sondern in der Regel als schädlich angesehen.

Die Lehre der „GNM“ wird intensiv im Internet auf verschiedenen Homepages und Diskussionsforen verbreitet, allein in Baden-Württemberg existieren 16 sog. Stammtische zur „GNM“ mit regelmäßigen Treffen.

Bundesweite Bekanntheit erlangte Herr Hamer 1995, als die an einem Wilms-Tumor erkrankte 6jährige Olivia Pilhar von ihren Eltern der schuldmedizinischen Behandlung durch Flucht ins Ausland entzogen wurde. Erst nach dem Entzug des Sorgerechts war eine erfolgreiche schulmedizinische Behandlung möglich.

Leider sind auch eine Reihe von Fällen mit tödlichem Ausgang in Deutschland und Frankreich gut dokumentiert. Insbesondere im Fall des 25jährigen S. W. der an Hodenkrebs erkrankt über ein Jahr Hamers Thesen vertraute, sind die tödlichen Folgen der Hamer´schen Theorie und des damit verbundenen Verzichts auf eine schulmedizinische Betreuung gut dokumentiert (http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/02118/04/ [nicht mehr abrufbar] und Schreiben von Prof. em. Dr. med. hab. Jürgen Dietrich, Leipzig, vom 26.07.2004).

Stellungnahme zum Grundgedanken der Krankheits- und insbesondere Krebsentstehung durch Schockerlebnisse und Konflikte:
Die Vorstellung, dass psychische Faktoren einen Einfluss auf die Entstehung von Krebserkrankungen haben, hat eine lange Tradition. Von Galen, dem Leibarzt des römischen Kaisers Marc Aurel, wurden Krebserkrankungen mit der Melancholie in Verbindung gebracht. Bisweilen wird bis heute von einer Krebspersönlichkeit gesprochen, die gekennzeichnet sei durch Depression, vermindertem Ausdruck von Ärger und Wut sowie Selbstaufopferungstendenzen. Ein Konzept, dass mittlerweile wissenschaftlich als widerlegt gilt (Schwarz et al 2001).

Neuere epidemiologische bevölkerungsbasierte Studien aus Dänemark zeigen eindeutig, dass es keine erhöhte Krebshäufigkeit bei Menschen mit Depressionen gibt und auch schwerwiegende psychische Stressfaktoren wie die ernsthafte Erkrankung eines Kindes zu keiner Erhöhung der Krebsinzidenz führen (Dalton et al, British Journal of Cancer 2004, 90, 1364 – 1366 und Dalton et al, American Journal of Epidemiology 2002, 155:1088 – 1095).

Juristische Verfahren in Sachen Hamer
Mit Bescheid vom 08. April 1986 wurde Herrn Hamer durch die Bezirksregierung Koblenz die vom Land Hessen erteilte Approbation widerrufen. Eine von Herrn Hamer hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Koblenz am 03.07.1989 abgewiesen, ebenso wurde die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung am 21.12.1990 durch Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz zurückgewiesen. Dabei wurde ausgeführt, dass der Widerruf der Approbation zu Recht erfolgte, da eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass der Kläger aufgrund seiner geistig-seelischen Konstitution nicht mehr in der Lage sei, sein praktisches ärztlichen Handeln an der Einsicht in die ärztlichen Gegebenheiten auszurichten. Der Kläger sei durch eine wahnähnliche Gewissheit, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse seinen unantastbar, geprägt.

Auch ein Antrag vom 30.06.1992 des Klägers auf Wiedererteilung der Approbation wurde durch das Hessische Landesprüfungsamt mit Bescheid vom 12.01.1993 abgelehnt. Es wurde ausgeführt, dass nach dem rechtskräftigen Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Koblenz vom 21.12.1990 davon auszugehen sei, dass der Kläger in der Diagnostik und Therapie insbesondere krebskranker Patienten einer von ihm begründeten Lehre, der sog. Neuen Medizin den absoluten Vorrang einräume und dabei zugleich Möglichkeiten, die sich mit ihren Methoden nicht vereinbaren ließen, von der Anwendung ausschließe. Er sei folglich nicht bereit, Patienten in Kenntnis der ärztlichen Gegebenheiten der nach dem derzeit anerkannten Wissenstand gebotenen Behandlung zuzuführen. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass der Kläger Krebskranke zu ihrem Nachteil von einer möglicherweise erfolgsversprechenden Behandlung auf anerkannter Grundlage abhalte.

Auch der am 15.01.1993 eingelegte Widerspruch wurde vom Hessischen Landesprüfungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.1996 zurückgewiesen. Exemplarisch wird in diesem Bescheid auf das Verhalten des Klägers im Falle der an Krebs erkrankten Olivia Pilhar verwiesen. Der Kläger habe diese Patientin längerfristig nach seinen medizinischen Vorstellungen behandelt und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln eine erfolgsversprechende ärztliche Behandlung nach den anerkannten Regeln der Medizin solange verhindert, bis schließlich das Leben des Kindes in höchstem Masse konkret gefährdet gewesen sei und das Kind nur durch staatliche Maßnahmen österreichischer und spanischer Behörden und Gerichte einer lebensrettenden Behandlung der anerkannten medizinischen Wissenschaft habe zugeführt und gerettet werden können. Gegen diesen Bescheid erhob Herr Hamer am 16.06.1996 erneut Klage, die nach vorübergehender Aussetzung wegen erfolgender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen schließlich aufgrund einer mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2003 abgewiesen wurde. Die Abweisung der Klage wird damit begründet, dass Herr Hamer unverändert in der Diagnostik und Therapie krebskranker Menschen der von ihm begründeten Lehre der sog. „Neuen Medizin“ den absoluten Vorrang einräume und andere Ansätze und Methoden bei der Behandlung von vorne herein ausschließt. Damit stehe ernsthaft zu befürchten, dass Patienten einer umfassenden Behandlung nicht zugeführt würden.

Weiterhin wird zur Begründung der Abweisung der Klage angeführt, dass Herr Hamer wiederholt gegen Strafvorschriften verstoßen habe, weswegen er rechtskräftig verurteilt wurde. Trotz Entzugs der ärztlichen Approbation behandelte Herr Hamer mehrfach Patienten. Deshalb erfolgte im Februar 1993 eine rechtskräftige Verurteilung des Landgerichts Köln zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten auf Bewährung. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 09.09.1997 wurde der Kläger zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten verurteilt. Die Tatvorwürfe in Sachen Olivia Pilhar konnten hingegen bislang nicht strafrechtlich geklärt werden, da sich Herr Hamer der Durchführung dieses Strafverfahrens durch einen Wohnsitzwechsel nach Spanien entzog.

Im Juni 2004 wurde Herr Hamer in Abwesenheit in Chambery, Frankreich wegen Betrugs und Komplizenschaft bei der illegalen Ausübung medizinischer Tätigkeit zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft starben mehrere Patienten, nachdem sie dem Rat zweier Anhängerinnen Hamers gefolgt waren. Am 09. September 2004 wurde Herr Hamer in Spanien aufgrund eines europäischen Haftbefehls verhaftet und in der Folge nach Frankreich ausgeliefert.

Hamer und Antisemitismus:
In den Schriften von Hamer tritt eine eindeutige antisemitische Haltung zutage. Ursprünglich wurde die Theorie von Herrn Hamer unter dem Begriff „Neue Medizin“ verbreitet. Neuerdings wurde eine begriffliche Veränderung in „Germanische Neue Medizin®“ vorgenommen. Zur Begründung verweist Hamer in im Internet zugänglichen E-Mails auf die stolze Tradition des germanischen Volkes der Dichter und Denker, der Musiker und Entdecker, aus dem Dr. Hamer stamme. Auch wolle er seinen Gegnern zuvorkommen, die „stehlen wie die Raben“, so dass am Ende „dieses wunderbare Göttergeschenk [die GNM] dann vielleicht jüdische Neue Medizin“ hieße.

Weiter führt Hamer aus: „ Es ist doch so: Die jüdische Religion teilt bekanntlich alles ein in gutartig u. bösartig, so auch in der jüdischen sog. Schulmedizin. Wir Nichtjuden werden gezwungen, weiterhin die jüdische Schulmedizin zu praktizieren mit Chemo, Morphium....- die die Juden selbst aber seit 20 Jahren nicht mehr praktizieren.“ (www.AGPF.de/Hamer.htm). An anderer Stelle wird die absurde Behauptung aufgestellt, dass Juden sich nach der „Germanischen Neuen Medizin“ behandeln ließen und deshalb Krebs zu 98% überlebten, während 95 % der schulmedizinisch Betreuten daran stürben. Diese Sätze entlarven sich selbst als klarer, dumpf-dümmlicher Antisemitismus.

Abschließende zusammenfassende Stellungnahme:
Bei der sog. „Germanischen Neuen Medizin“ von Herrn Hamer handelt es sich um ein in der Biographie und Träumen von Herrn Hamer begründetes Theorem ohne jede wissenschaftliche oder empirische Begründung. Im Gegenteil, nach heutigem Erkenntnisstand ist die zugrundliegende Grundhypothese widerlegt. Es sind mehrere Todesfälle von Menschen, die seiner Theorie vertrauten, gut belegt, die unter schulmedizinischer Behandlung eine realistische Heilungschance besessen hätten. Deshalb ist die „Germanische Neue Medizin®“ mit allem Nachdruck als einerseits absurd, andererseits aber bewiesenermaßen gefährlich zurückzuweisen. Ihrer Verbreitung muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – juristisch und auf dem Wege der Aufklärung – Einhalt geboten werden. Eine Plattform zur Selbstdarstellung darf ihm und seinen Anhängern nicht geboten werden.

Zitierte Literatur:
Dalton SO, Laursen TM, Mortensen PB, Johansen C. Major life event – diagnosis of schizophrenia in offspring and risk for cancer. British Journal of cancer 2004; 90: 1364-1366

Dalton SO, Mellemkjaer L, Olsen JH, Mortensen PB, Johansen C. Depression and cancer risk: a register-based study of patients hospitalized with affective disorders, Denmark 1969-1993. Am J Epidem 2002; 155:1088-1095

Schwarz R. Psyche und Krebsentstehung. Onkologe 2001; 7: 124-132

Dr. med. M. Sökler

Internist/Hämatologe
Oberarzt

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