NZZ: Wirbel um Festnahme
Neue Zürcher Zeitung, 19.06.2006
Wirbel um Festnahme von Vittorio Emanuele
Sohn von Italiens letztem König im Verdacht übler Machenschaften
Prinz Vittorio Emanuele, der Sohn des letzten Königs von Italien, ist wegen Korruption und Betrügereien im Geschäft mit Glücksspielen sowie Zuhälterei verhaftet worden. Der Prinz bestritt trotz kompromittierenden Unterlagen jegliche Schuld.
Tz. Rom, 18. Juni
In Italien scheint die Serie aufsehenerregender Skandale nicht abreissen zu wollen. Nach dem Milliardenschwindel bei Parmalat, den Bankenskandalen um den früheren Notenbankchef Fazio und dem „Calciopoli“ im Fußball hält nun plötzlich auch noch die Verhaftung des 69-jährigen Prinzen Vittorio Emanuele von Savoyen die Öffentlichkeit in Atem. Der Sohn von Umberto II., dem letzten König von Italien, sitzt seit dem Wochenende in Potenza in Untersuchungshaft, da ihm die dortige Staatsanwaltschaft nach zweijährigen Ermittlungen Korruption, Betrug vorab bei Geschäften mit illegalen Glücksspielen und Zuhälterei vorwirft. Neben dem Prinzen wurden noch sechs andere Verdächtige in Untersuchungshaft genommen, darunter Roberto Salmoiraghi, der Bürgermeister der italienischen Kasino-Exklave Campino d’Italia am Luganersee; weitere sechs Personen wurden unter Hausarrest gestellt, wie Salvatore Sottile, der Sprecher des früheren Außenministers Gianfranco Fini.
Geschäfte mit der Mafia?
Vorab Exponenten der früheren Regierung Berlusconi spielten die Affäre als reine Seifenblase des übereifrigen Staatsanwalts von Potenza, Henry John Woodcock, herunter. Der 39-jährige Magistrat, der Sohn eines lange in Italien lebenden Dozenten, habe schon in der Vergangenheit mit spektakulären Ermittlungen politisches Aufsehen zu erregen versucht, doch seine darauf alle seine Verfahren mangels Beweisen versandet. Justizminister Clemente Mastella bekundete die Hoffnung auf einen möglichst raschen Abschluß der Untersuchung.
Der Woodcock vorgesetzte Untersuchungsrichter von Potenza, Alberto Iannuzzi, machte geltend, dass der Verdacht gegen Vittorio Emanuele und seine Komplizen auf einer Reihe kompromittierender Telefongespräche und Fotos beruhe. Die Untersuchungsbehörden scheuten sich in der Folge auch nicht, einen Teil dieser Evidenz der Presse zuzuspielen. Auf einer Bildersequenz nimmt Vittorio Emanuele bei einem Treffen mit den zwei angeblichen mafiosen und im Kasion-Milieu aktiven Figuren Giuseppe Migliardi und Ugo Bonazza im März 2005 am Comersee einen Briefumschlag mit 10 000 Euro entgegen.
Mit diesem Betrag soll der Prinz dafür abgegolten worden sein, dass er bei seinen „Freunden“ bei der für die Kontrolle von Glücksspielen zuständigen Behörde Monopoli di Stato Bewilligungen beschaffte. Im Weiteren wird ihm und seiner zwielichtigen Entourage der Handel mit illegalen Slot-Maschinen bis hin nach Libyen und Russland vorgeworfen. Hinzu kommt die Anklage, dass das Kasino von Campione, wo der Prinz ein und aus ging, nicht zuletzt von der sizilianischen Mafia auch als Geldwaschanlage benutzt wurde. Und in diesem Milieu florierte angeblich auch die Prostitution unter anderem zugunsten wichtiger Kunden. Im Weiteren soll sich Vittorio Emanuele an der Bestechung des ehemaligen bulgarischen Königs und Ministerpräsidenten Simeon II, eines seiner Cousins, beteiligt haben.
Schon früher dubiose Entourage
Die Stichhaltigkeit der Vorwürfe muss sich gewiss erst erweisen. Völlig überrascht von den Enthüllungen schien in Italien aber doch niemand zu sein. Vittorio Emanuele hatte schon in der Vergangenheit immer wieder höchst zweifelhafte Kontakte gepflegt. Er war schon seit langem von einem Teil des Königshauses als geldsüchtig und gewöhnlich verachtet worden – und das nicht nur, weil er 1970 gegen den Willen seines Vaters die bürgerliche Wasserski-Meisterin Maria Doria in Las Vegas geheiratet hatte.
Bis zu seiner Rückkehr nach Italien im März 2003 hatte Vittorio Emanuele zumeist in seiner 30-Zimmer-Villa am Genfersee residiert, von der aus er nicht zuletzt als Vermittler internationaler Waffengeschäfte Geld zu verdienen schien. Eine enge Freundschaft hatte er dabei auch mit dem früheren Schah von Persien gepflegt. Nahe stand er zudem Licio Gelli, dem skandalumwitterten, in umstürzlerische Umtriebe von rechts verwickelten Financier und Großmeister der in den achtziger Jahren verbotenen Geheimloge P2, in der Vittorio Emanuele als Mitglied 1621 registriert war.
Ein Mann ohne Mitgefühl
Negativ von sich reden machte der Prinz aber auch 1978, als er in Korsika auf einer Jacht in einem Streit wütend Gewehrschüsse abfeuerte und einen jungen deutschen Touristen auf einem nahe gelegenen Schiff tödlich verletzte. Er wurde darauf zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen missbräuchlichen Waffengebrauchs verurteilt; doch nahm ihm die Öffentlichkeit übel, dass er nicht die geringste Anteilnahme für das Leid der Familie des Opfers gezeigt hatte.
In seinem Exil nach der Abschaffung der italienischen Monarchie im Jahre 1946 hatte der Prinz von Savoyen auch nie sein Bedauern über die Komplizenschaft seines Grossvaters Vittorio Emanuele III mit Mussolinis Faschisten bekunden wollen. Er sagte einmal, dass er die von seinem Nonno unterzeichneten Rassengesetze nicht bedauern könne, da er damals noch gar nicht einmal auf der Welt gewesen sei. Effektiv war er damals bereits einjährig, womit sich der Savoyer im damaligen Interview zwar nicht unbedingt als bewusster Lügner, doch gewiß als großer Ignorant erwies. Wenig Respekt vor der neuen Republik zeigte er, als er dem früheren Staatspräsidenten Pertini mit der Adresse „Herr Pertini, Quirinalspalast“ ein Schreiben zusandte.
In den letzten Jahren des Exils stellte sich der Prinz dann aber immer mehr und auch unter Anrufung des Schengen-Abkommens als normaler Italiener dar, der ein Recht auf die Rückkehr in seine Heimat habe. In der Ära Berlusconi wurde ihm dieser Wunsch vom Parlament unter der Voraussetzung gewährt, dass er auf die neue Verfassung schwöre. Zu einem normalen Bürger ist Vittorio Emanuele aber offenbar nicht geworden.