NOZ: Verschwommene Beweise
Neue Osnabrücker Zeitung, 21.01.2006
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„Neue Medizin“ mit verschwommenen Beweisen
Vorträge in Hinterzimmer: Von einem Propagandisten, der vorgibt, nicht nur den Krebs erklären zu können
Von Frank Henrichvark
Osnabrück
Dies ist eine Geschichte, die vornehmlich in Hinterzimmern spielt. In Vorstadtgasthäusern, an obskuren Stammtischen und in verschlossenen Seminarveranstaltungen sowie in den Tiefen des weltweiten Internets – also dort, wo schon mal Verschwörungstheorien ins Kraut schießen. Ihr Thema ist der Wunderheiler Dr. Ryke Geerd Hamer, Propagandist einer „Germanischen Neuen Medizin“, und seine Fan-Gemeinde.
Donnerstagabend im Saal einer Osnabrücker Gaststätte. Wo sonst auch Matratzen und Rheumadecken verkauft werden, hat Helmut Pilhar zu einem Vortrag mit dem Titel „Krebs – Krankheit der Seele“ eingeladen.
Erschienen sind an die 80 Personen, die widerspruchslos ihre fünf Euro Eintritt zahlen. Man sitzt gedrängt an langen Tischen: Zumeist ältere Frauen, einige Herren im Trachtenlook, aber auch Mittdreißiger und ganz vorne in der ersten Reihe ein junges Mädchen mit Mundschutz. Die Autos draußen vor der Tür kommen zum Teil von weither; zumeist aus Nordrhein-Westfalen, denn das Treffen war eigentlich in Dortmund angesetzt und wurde in letzter Minute nach Osnabrück umdirigiert.
Helmut Pilhar, Elektroingenieur aus Österreich, referiert an diesem Abend über die „Germanische Neue Medizin®“. Pilhar ist Stellvertreter des derzeit in Frankreich wegen Betruges und illegaler Arzttätigkeit zu vier Jahren Haft verurteilten selbst ernannten Wunderheilers Ryke Geerd Hamer.
Helmut Pilhar hat dazu in den letzten Jahren ein Netzwerk von an die 80 Hamer-„Stammtischen“ in Deutschland und Österreich aufgezogen und hält Seminare ab. Hier und im Internet propagiert er die „fünf biologischen Naturgesetze“ seines großen Vorbilds Ryke Geerd Hamer.
Unscharfe Bilder beweisen fast alles
Mit aller Vorsicht und ohne die eigentlich zwingend erforderlichen Anführungszeichen referiert, handelt es sich dabei um die Theorie, wonach Krankheiten bei Mensch und Tier nicht nur von der Seele ausgelöst werden, sondern zu dem auch noch im Gehirn mittels Computertomografie nachweisbar seien. Pilhar projiziert verschwommene CT-Bilder auf die Leinwand, auf denen Interferenz-Ringe erkennbar sind. Das seien „Hamer’sche Herde“, erklärt er, lokalisierte Spuren seelischer Krisen, die automatisch zu einer Krebserkrankung führen müssen.
Und es kommt noch dicker: Jeder Patient könne seinen Krebs allein durch Konfliktbewältigung besiegen. Dann werde die Selbstheilung mithilfe nützlicher Mikroben einsetzen: „Heilen kann nur der Körper selbst.“
Dabei verbindet Geerd Ryke Hamer und seinen Adlatus Helmut Pilhar eine lange gemeinsame Geschichte: Im Jahr 1995 erkrankte Pilhars damals sechsjährige Tochter Olivia an einem Nierentumor. Die Eltern verweigerten die schulmedizinische Behandlung und flohen mit ihrem Kind aus der Klinik.
Erst als ein Gericht den Eltern das Sorgerecht entzogen hatte, konnten die Ärzte nach einer Chemotherapie den Tumor entfernen. Das Kind überlebte und gilt heute als geheilt. Die Eltern – denen der Staatsanwalt schon im Prozeß „kritiklose Hinwendung zu einem Scharlatan“ vorgeworfen hat – stellen dagegen bis heute unentwegt die Frage, ob man im Falle ihrer Tochter Olivia angesichts der Chemotherapie „mit Giftgas“ wirklich von langfristiger Heilung sprechen könne.
Dass Helmut Pilhar hier in Osnabrück unverdrossen die „Schulmedizin“ geißelt und mithilfe verschwommener Röntgenbilder und eines Hirn-Modells aus Kunststoff unbewiesene Theorien untermauern will, dass er sich aber im selben Atemzug schnell wieder als „medizinischer Laie“ aus jeder Verantwortung stiehlt, mag man noch kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Das Publikum ist mündig und soll selbst entscheiden.
Kritiker sprechen auch von Todesfällen
Allerdings bringt nicht nur die Deutsche Krebsgesellschaft Hamer und seine „Germanische Neue Medizin®“ mit zahlreichen Todesfällen in Verbindung.
Dass jedoch der Herr im braunen Samtcordanzug in seiner drei Stunden währenden österreichisch-gefällig vorgetragenen Suada immer mal wieder antisemitische Verschwörungstheorien aufblitzen lässt, stimmt nachdenklich. Dies sind keine Versprecher mehr, das dokumentiert die Tiefen des Internets.