Die Habilitation bleibt unerreichbar
Ryke Geerd Hamer streitet weiter mit der Tübinger Universität
Schwäbisches Tagblatt, 29.06.2010
Seit 1981 will Dr. Ryke Geerd Hamer von der Tübinger Medizinischen Fakultät habilitiert werden. Am Freitag versuchte er einmal mehr, mit Unterstützung des Verwaltungsgerichts dieses Ziel erreichen.
Hans-Joachim Lang
Sigmaringen. Der Sitzungssaal, in dem die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts tagte, ist nicht groß; mit knapp 40 teils von weit her angereisten Zuhörern war er voll besetzt. "Wir sind das Volk!", gaben sie sich am Schluss der Verhandlung laut rufend zu erkennen, Zwischenrufer behaupteten, dass durch die Spruchpraxis der Gerichte "Mord und Totschlag" gedeckt würden. Ryke Geerd Hamer hörte diese Sympathiekundgebung nicht, aus Furcht vor einer Verhaftung hat er seinen momentanen Aufenthaltsort in Norwegen nicht verlassen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die fünfköpfige Kammer noch nicht über die umfangreiche Klage des 75-jährigen Mediziners entschieden, aber das Ergebnis war bereits absehbar. Gestern Morgen teilte das Gericht den Tenor seiner Entscheidung mit: Die Klage wurde abgelehnt.
Ryke Geerd Hamer studierte in den 1950er Jahren in Tübingen Medizin und evangelische Theologie. 1964 bis 1966 praktizierte er als Arzt in Hirschau, als Facharzt für Innere Medizin arbeitete er zeitweise auch an der Medizinischen Klinik in Tübingen. In Konflikt mit der Schulmedizin, immer mehr auch mit Gerichten, brachte ihn eine Theorie der "Eisernen Regel des Krebses". Sie besagt, dass Krebserkrankungen auf unvermutet hereinbrechende psychische Konflikte beruhen und geheilt werden könnten, wenn es gelänge, diese Konflikte zu lösen. Andere Therapiemaßnahmen seien nicht erforderlich.
Eigene traumatische Situation
Eine eigene traumatische Situation hat ihn auf diesen Einfall gebracht. Im Sommer 1978 schoss auf der Insel Korsika unter nicht genau geklärten Umständen Prinz Vittorio Emmanuel von Savoyen bei Korsika auf Hamers 19-jährigen Sohn, der daraufhin nach viermonatigem Todeskampf starb. Kurz darauf erkrankte Hamer an Hodenkrebs, den er als biologischen Konfliktschock diagnostizierte. Geheilt wurde er freilich durch eine schulmedizinische Operation in Tübingen.
Die Heilsgewissheit, die Hamer als Habilitationsschrift einreichte, um sich im Fach Innere Medizin zu qualifizieren, trägt den Titel "Das Hamer-Syndrom". Die von ihm ohnehin bekämpfte Schulmedizin konnte er dafür nicht begeistern, schon allein deshalb nicht, weil formale Voraussetzungen an eine wissenschaftliche Arbeit nicht eingehalten waren. Ein formaler Fehler beim Habilitationsverfahren führte andererseits dazu, dass ihm gerichtlich eine zweite Chance eingeräumt wurde. Aber weder konnte er sie nutzen, noch hat die Fakultät das Verfahren entschlossen beendet. Es ist nach wie vor offen und bietet reichlich Konfliktstoff.
Zweifelhafte internationale Bekanntschaft erwarb sich Hamer vor 14 Jahren, als auf seinen Rat Erika und Helmut Pilhar die Krebsbehandlung ihrer Tochter Olivia in einem österreichischen Krankenhaus abbrechen ließen. Sie hatten sich von dem umstrittenen Mediziner Heilung in Spanien erhofft, wohin er sich zurückgezogen hatte. Der Zustand der sechsjährigen Olivia verschlechterte sich zusehends. Nach monatelangem, teils in der Boulevard-Presse veröffentlichtem Streit und einem Gerichtsurteil wurde das Mädchen aus den Händen Hamers befreit und nach Wien in die rettende Klinik überführt.
Hamer, dem 1986 ein Kölner Gericht die ärztliche Zulassung aberkannt hat, wurde von Spanien nach Frankreich ausgeliefert, wo er eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen Betrugs und Beihilfe zur illegalen Arzttätigkeit absitzen musste. Wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz hatte ihn das Kölner Landgericht schon 1997 zu 19 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Derzeit meidet er Deutschland wegen Ermittlungen wegen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen unter anderem wegen Volksverhetzung im Zusammenhang mit seiner "Germanischen Neuen Medizin".
Vor dem Sigmaringer Verwaltungsgericht trat als einer seiner Bevollmächtigten Helmut Pilhar auf. Hamer wollte mit seiner Klage unter anderem seine umgehende Habilitation und die Überprüfung seiner Theorie durch die Medizinische Fakultät durchsetzen. Außerdem sollte die Tübinger Universität verpflichtet werden, ihm das Gebäude der alten HNO-Klinik für die Zwecke seiner "Germanischen Neuen Medizin" zur Verfügung zu stellen.
Die Begründung, warum sie die Klage ablehnte, wird das Sigmaringer Verwaltungsgericht wie üblich schriftlich nachreichen.
Ryke Geerd Hamers Germanische Neue Medizin
Ryke Geerd Hamers Germanische Neue Medizin ist seit 2003 als Markenzeichen registriert. Sie besagt, dass alle Krankheiten, nicht nur Krebs, auf "biologische Konfliktfällen" beruhen. Wissenschaftlich haltbare Wirksamkeitsnachweise der Therapien gibt es keine, dagegen eine Vielzahl von eklatanten Misserfolgen. Anhänger der Germanischen Neuen Medizin finden sich häufig im Umfeld rechter Kreise, in den Schriften findet sich antisemitisches Gedankengut. Hamer : "Alle Juden dieser Welt [praktizieren] auf Geheiß ihrer Rabbiner die Germanische Neue Medizin, während alle Nichtjuden gezwungen werden, die dumme alte Schulmedizin (...) zu praktizieren und sich zu 98% mit Chemo und Morphium umbringen zu lassen. Die dumme sog. Schulmedizin ist eigentlich eine jüdische Medizin."
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Ryke-Geerd-Hamer-streitet-weiter-mit-der-Tuebinger-Universitaet-_arid,104802.html
Kommentar: Verfahrenes Verfahren
Streit um abgelehnte Habilitationsarbeit geht weiter
Seit Jahrzehnten beschäftigt ein Streit die Verwaltungsgerichte, weil die Medizinische Fakultät der Tübinger Universität nicht bereit war, einen Formfehler zu korrigieren. Ein Prozesstermin am vergangenen Freitag in Sigmaringen fügte der unendlichen Geschichte ein neues, unnötiges Kapitel hinzu.
Tübingen/Sigmaringen. Der Mediziner Ryke Geerd Hamer hat 1981 die Schrift "Das Hamer-Syndrom" als Habilitationsarbeit eingereicht, die im Gegensatz zu ihm selbst in der hiesigen Medizinischen Fakultät unumstritten ist. Mit der über alle Zweifel erhabenen Mehrheit von 150 Stimmen lehnte nämlich ein Ausschuss der Fakultät die Arbeit des "Krebsheilers" mit Bausch und Bogen ab, weil sie formal, methodologisch und sachlich nicht die Anforderungen erfülle. Fürsprecher gab es nicht einen.
Pech für die Fakultät, dass ihr beim Habilitationsverfahren ein Fehler unterlaufen ist. Denn nun musste sie sich, ob sie es wollte oder nicht, weiter mit Hamer auseinandersetzen, für den sich medizinische Glaubensbekenntnisse zu Gewissheiten einer "Germanischen Medizin" verdichten. Der Fehler der Fakultät war, dass sie eine Reform der Habilitationsordnung vollzog, ehe sie gesetzlich in Kraft getreten war. Sie betraute einen Ausschuss, der zwar vorgesehen war, formaljuristisch zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht existierte.
Die Fakultät hätte den Fehler besser behoben als ihn aussitzen zu wollen. Dass nämlich das Habilitationsverfahren nach 29 Jahren (!) noch immer nicht formal beendet ist, verhilft Hamers zahlreichen, teils fanatisch auftretenden Anhängern zu Munition, die auch reichlich verschossen wird. Mit Hinweis auf die Panne der Fakultät erreichte Hamer, dass das Sigmaringer Verwaltungsgericht 1986 die Ablehnung der Habilitationsarbeit aufhob und die Fakultät verpflichtete, das Gesuch neu zu bescheiden.
Erstaunlicherweise hielt sich die Medizinische Fakultät nicht an das Urteil. Sie blieb auch weiterhin davon unbeeindruckt, als die Sigmaringer Richter, durch Hamer mobilisiert, Zwangsgeld für den Fall androhten, dass das zuständige Mediziner-Gremium nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten entsprechend dem acht Jahre alten und längst rechtskräftig gewordenen Sigmaringer Urteil verfahren würde.
Im Juni 1994 protokollierten Hamer und der damalige Medizin-Dekan, dass beide Seiten "das Mögliche" tun würden, damit "das Habilitationsverfahren (. . .) so bald als möglich beendet werden kann". Das Mögliche blieb unmöglich, auch wenn dass Wissenschaftsministerium im Oktober 1994 ankündigte, dass das weitere Habilitationsverfahren "zügig durchgeführt" werde.
Weil er in seinem Kampf gegen die Schulmedizin zur Gefahr für Patienten wurde, wurde Hamer die Approbation entzogen, mehrfache Verstöße dagegen zogen strafrechtliche Verurteilungen nach sich. Den Bummelzug ihres Habilitationsverfahrens leitete die Medizinische Fakultät aufs Abstellgleis: Gründe für den Entzug einer Lehrbefugnis – Verlust des Beamtenstatus nach einer Verurteilung – seien "selbstverständlich auch Gründe, die Lehrbefugnis nicht zu verleihen", mithin auch die Zulassung zum Habilitationsverfahren zu versagen. Offenbar griff dieser Einwand nicht. Das Verfahren ist weiterhin offen – und verfahren.
Hans-Joachim Lang
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Streit-um-abgelehnte-Habilitationsarbeit-geht-weiter-_arid,104795.html