"Germanische Neue Medizin" sucht auch hier nach Anhängern
Eichstätter Kurier, 10. Juli 2004
Vater von "Krebskind Olivia" propagierte in Eichstätt umstrittene Thesen/Gips gegen Tumor/ "Haben meinen Sohn umgebracht"
Eichstätt (kno) 1996 machte der Fall international Schlagzeilen: Die damals siebenjährige Olivia aus Österreich war an einem Nierentumor erkrankt. Um sie einer schulmedizinischen Behandlung zu entziehen, flohen die Eltern mit ihr nach Spanien. Erst als der Tumor auf Fußballgröße anschwoll und vier Kilo schwer war, kam die Familie zurück. Olivia wurde im Allgemeinen Krankenhaus Wien operiert und mit Chemotherapie behandelt. Die Ärzte sagten, ihre Überlebenschance habe bei zehn Prozent gelegen.
"Zwangstherapie"
Die Eltern von Olivia sind bis heute nicht einverstanden mit dieser "Zwangstherapie" (sie waren wegen ihres Widerstands zu je acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden). Mehr noch: Unermüdlich propagiert Olivias Vater Helmuth Pilhar die Thesen des Mannes, dem sie schon bei der Flucht nach Spanien gefolgt waren – des mehrfach verurteilten "Krebsarzte" Ryke Geerd Hamer. Auch in Eichstätt ist Pilhar inzwischen tätig. Hier läuft seit Juni ein "Einsteigerzyklus" mit Vorträgen und Seminaren, in dem es um die "Germanische Neue Medizin" Hamers geht. Auch ein monatlicher Stammtisch wurde bereits eingerichtet.
Hamers Rechnung, der eigenen Angaben zufolge "acht Mordanschläge" überstanden hat, ist simpel: 95 Prozent der Patienten stürben an den Folgen einer Chemotherapie. Diese 95 Prozent könnten überleben, würde die "Neue Medizin" angewandt. Hamers Credo: nichts Schulmedizinisches machen. Bei von Krebs befallenen Tieren würden ja auch 80 bis 90 Prozent überleben.
Wenn Hamer aber zu "Therapien" gegriffen hat, mutet diese durchaus seltsam an: So soll er einem an Knochenkrebs erkrankten Jungen einen Gips ums Bein gelegt haben, damit der Tumor "verkalkt". Das Bein musste später amputiert werden, berichtet der Spiegel.
Ins Gefängnis gebracht
Hamers Methoden haben ihn schon mehrfach ins Gefängnis gebracht. Erst vor wenigen Tagen ist er in Frankreich wegen illegaler Berufsausübung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Es waren Angehörige von Verstorbenen, die den seit 1986 mit Berufsverbot belegten früheren Internisten verklagten. Auch die Staatanwaltschaft Köln hat einen Haftbefehl gegen Hamer, der sich längst nach Spanien abgesetzt hat, berichtet "Report Mainz" vom SWR. Hier wird auch der Fall eines 25-Jährigen beschrieben, der an Hodenkrebs ("gut behandelbar") gestorben ist, weil er Hamers "Neuen Medizin" vertraut habe. Die Mutter des Toten ist überzeugt: "Hamer und Konsorten haben meinen Sohn umgebracht". In einem weiteren Fall soll Hamer laut Spiegel einem an Knochenkrebs erkrankten Buben zur Genesung eine Reise nach Spanien empfohlen haben. Vier Monat später sei der junge Patient tot gewesen.
Diese und etliche andere Fälle stehen im Zusammenhang mit Hamer, der Krebs als Folge eines "Konflikterlebnisschockes" sieht. Statt sich einer "Pseudotherapie mit Giftsgasabkömmlingen" (Chemotherapie) zu unterziehen, sollten die Menschen lieber ihre Probleme lösen, der Krebs verschwinde von allein. Hamers weitere "abenteuerliche Thesen" (Spiegel): Karies sei ein Konflikt des Nicht-Zubeißen-Könnens und würde vor allem bei Kindern auftreten, die "von älteren ausländischen Mitschülern" eingeschüchtert würden. Oder: Diabetes entstehe aus dem Sexualkonflikt bei linkshändigen Frauen.
"Ketzerprozess"
Aus der Untersuchungshaft in Köln schrieb Hamer 1997 einen ellenlangen Brief an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, in dem er sich über den "Ketzerprozess" wegen unerlaubter Berufsausübung beschwert. (Hamer wurde später zu 19 Monaten Haft verurteilt). Hitlers Gestapo und die Stasi seien "Weisenknaben gewesen gegenüber dem Dissidententerror", dem er sich ausgesetzt sehe. Er spricht von einem "staatlichen Attentat", das auf ihn verübt worden sei und davon, dass "unsere Patienten gnadenlos als Regimekritiker verfolgt, möglichst ins Krankenhaus verschleppt und dort mit Morphium entsorgt werden".
Mittlerweile ist Hamer-Jünger Helmuth Pilhar im Dienste der "Neuen Medizin" im deutschsprachigen Raum unterwegs. Seine Vorträge werden meist von hunderten Menschen besucht, auch in Eichstätt machte er bereits zwei Mal im Saal einer Gaststätte Station. Die nächsten Vorträge sind im Herbst. Pilhars Homepage (www.pilhar.com) wurde von der Stiftung Warentest mit "mangelhaft" bewertet. Es ging um Medizinisches im Internet über Brustkrebs. Das Fazit: Falsche und irreführende Informationen".
Mit der konventionellen Ärzteschaft geht das Ehepaar Pilhar nicht gerade zimperlich um. In einem offenen Brief an die Uni Tübingen, die sich kritisch zur "Neuen Medizin" geäußert hat, droht es martialisch: "An der fortgesetzten Unterdrückung der Germanischen Neuen Medizin werdet ihr zerbrechen ...Ihr habt euer Urteil schon lange gefällt."
"Zu viele Schnitzel"
Und Olivia? Ihr geht es - so weit es aus der Homepage heraus zu lesen ist – heute gut. Die Krebserkrankung sei laut Hamer darauf zurück zu führen gewesen, dass "die Oma ihr zu viele Schnitzel" gebraten habe.