BR-online: Hartenstein
Die Chemotherapie in der Diskussion - Leiden ohne Sinn?
BR-online, 11.12.2004
Interviewpartner des Dossiers
Prof. Dr. med. Reiner Hartenstein, Onkologe und Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft
Dr. med. Bernd-Michael Heiny, Leiter der onkologischen Ambulanz Rottach-Egern
Senfgas, ein chemischer Kampfstoff aus dem ersten Weltkrieg, wurde 1942 erfolgreich zur Behandlung von Lymphknotenkrebs eingesetzt. Das war die Geburtsstunde der Chemotherapie. Mittlerweile gibt es auf dem Markt eine ganze Reihe solcher Substanzen, so genannter Zytostatika, die wie Senfgas Zellwachstum oder -teilung hemmen. Bei einigen Krebsarten setzt man diese Medikamente mit großem Erfolg ein, erläutert Prof. Reiner Hartenstein, Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft: "Bei Leukämien, Lymphknotenkrebsen, Hodentumoren und Krebserkrankungen von Kindern kann die Chemotherapie auch bei weit fortgeschrittener Erkrankung zu einer dauerhaften Heilung führen."
In jüngster Zeit wurde aber verstärkt Kritik an dieser Therapieform laut. Denn eine epidemiologische Studie an der Universitätsklinik Großhadern in München, in die die Krankengeschichten tausender Patienten seit 1978 einflossen, kam zu niederschmetternden Ergebnissen: Bei den häufigen und gefährlichen Organkrebsen in Brust, Dickdarm, Lunge und Prostata hat sich im fortgeschrittenen Stadium die Lebenszeit der Patienten trotz Chemotherapie in den 25 untersuchten Jahren nicht oder kaum erhöht. Dr. Bernd-Michael Heiny, Leiter der onkologischen Ambulanz Rottach-Egern, plädiert deshalb für einen umsichtigen Einsatz der Zytostatika: "Die Chemotherapie hat vielen Menschen Gutes getan. Ohne sie ist unser Waffenarsenal gegen den Krebs zurzeit nicht denkbar. Aber gerade deshalb sollten wir genau überlegen, wie wir sie richtig anwenden."
Der Text beruht auf Interviews mit Prof. Dr. Reiner Hartenstein und Dr. Bernd-Michael Heiny.