Fall Olivia: „Krebsheiler“ Hamer ist auf Tauchstation
Kurier Sonderausgabe Steiermark, Juni 2001
Kölner Justiz chancenlos / Auch Aktendeckel zu österreichischen Todesfällen fielen zu
Es wird keinen Richter mehr für Geerd Hamer geben. Der Mann, der behauptet, es gebe keinen Krebs, sondern nur psychisch zu lösende Konfliktherde im Gehirn, ist säumig bei seiner Vergangenheitsbewältigung.
Im Kölner Amtsgericht sollte sich der 66-jährige Deutsche noch dafür verantworten müssen, dass in Österreich beinahe ein kleines Mädchen gestorben wäre. Doch der Mann ist schlichtweg nicht greifbar.
Olivia P., damals fünf Jahre alt, war mit einem vier Kilo schweren Tumor im Bauch am Ende ihrer Kräfte, als den Hamer-gläubigen Eltern für die Zeit der schulmedizinischen Operation das Sorgerecht entzogen werden musste.
NORMALES LEBEN
1995 wurde der Kleinen das Leben gerettet. Das Mädchen hat sich erholt, geht gerne zur Schule, wird von den Eltern liebevoll umsorgt.
Die Aktendeckel zum Fall Olivia sind in Köln offiziell noch nicht geschlossen. „Hamer wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt“, betont Staatsanwältin Regine Appenroth. All die Schmerzen, die das Mädchen habe sinnloser Weise erdulden müssen, seien darunter zu verstehen.
„Doch wir haben Hamer nicht. Er hätte auch noch eine Reststrafe von vier Monaten zu verbüßen.“ Im so genannten Klingelpütz, dem Kölner Gefängnis.
Nach zehn Jahren verjährt der Fall Olivia absolut, das wäre 2005. Haftbefehl gibt es keinen, bloß wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes.
Wer weiß, ob’s für das Mädchen nicht besser sei, nicht wieder in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden, sinniert Frau Staatsanwalt.
Gerüchteweise soll Hamer in Frankreich aufgetaucht sein und Krebspatienten „behandelt“ haben, berichtet Appenroth. Aber Genaues wisse sie nicht. Um Deutschland und Österreich macht der ehemalige Arzt, dem schon lange die Approbation entzogen worden ist, einen großen Bogen.
„Natürlich wird sich Hamer stellen, natürlich wird er kommen. Er ist ein Ehrenmann“, hatte sein Anwalt Alex Mendel aus Krefeld noch vollmundig erklärt. Sein Mandant müsse sich erst einmal wirtschaftlich und sozial erholen.
Hamer schreibt neue Bücher, um Geld zu verdienen. Und stülpt offenbar noch immer seine krausen Theorien über hoffnungsvolle Krebspatienten.
KEINE BEWEISE
Auch die Grazer Justiz hatte eine Menge Arbeit mit dem Herren. Etliche Todesfälle aus ganz Österreich wurden akribisch untersucht, Krankengeschichten studiert, Angehörige befragt. Das Paket an Ergebnissen wurde nach Köln geschickt.
„Da war keine Chance“, erklärt die Kölner Staatsanwältin. „Wir mussten alles einstellen, nach Vorlage der Gutachten. Es war einfach nicht nachzuweisen, dass die betroffenen Krebspatienten ohne Hamersche Behandlung überlebt hätten.“