Der Standard:
Ende einer Krankengeschichte

Der Standard, 24. Juli 2000

Die ehemals krebskranke Olivia Pilhar wird im April voraussichtlich endgültig als geheilt aus der Spitalsbehandlung entlassen. Vor fünf Jahren war das Mädchen kurzzeitig in die Hände eines Wunderheilers gefallen, der inzwischen mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, berichtet Andreas Feiertag.

Wien – In den nächsten Tagen wird Olivia Pilhar ein weiteres Mal auf der Kinderklinik im Wiener AKH untersucht. "Gleich wenn unsere Sekretärin aus dem Urlaub zurück ist, fixieren wir einen Termin", bestätigt Irene Slavc, behandelnde Ärztin des elfjährigen Mädchens, dem STANDARD. Olivia hatte Krebs und muß zur Kontrolle.

Sollte dabei keine Veränderung ihres Gesundheitszustandes festgestellt werden, beginnt die Schlußphase einer Krankengeschichte, die vor fünf Jahren als spektakuläre Familiendrama begonnen hatte und kommendes Jahr mit der Rückgabe des gesamten Sorgerechtes an Olivias Eltern enden könnte. Ausgelöst wurde der Kampf um das Kind durch einen Glaubenskrieg zwischen der Schulmedizin und der vom deutschen Wunderheiler Ryke Geerd Hamer propagierten "NEUEN MEDIZIN". Und dieser Streit ist noch lange nicht zu Ende. Olivias Vater, Helmut Pilhar, hat erst vor wenigen Monaten Anzeige gegen Schulmediziner erstatten. Wegen Totschlags.

"Sollte alles o.k. sein, wovon wir ausgehen, folgt im April die Abschlußuntersuchung. Wenn auch da keine Krebszellen gefunden werden, gilt Olivia endgültig als geheilt, dann sind auch keine Kontrolluntersuchungen mehr notwendig", ist Slavc "mehr als nur zuversichtlich". Dann ist auch der Beschluß des Pflegschaftsgerichts Wiener Neustadt obsolet. Die Obsorge für die "Nachbehandlung und Nachkontrolle der Wilmstumorerkrankung" liegt noch beim Jungendamt. Für alles andere sind Mutter und Vater längst wieder zuständig, das Mädchen lebt bei ihnen zu Hause im niederösterreichischen Maiersdorf am Fuße der Hohen Wand. Ab und zu schaut eine Sozialarbeiterin vorbei. Das Sorgerecht war den Eltern vor fünf Jahren entzogen worden.

Alternative gesucht
Bei dem damals sechsjährigen Kind wurde ein "Wilmstumor" diagnostiziert – Nierenkrebs. Eine Chemotherapie sollte eingeleitet werden. Olivias Vater, der "Chemo" mit "Giftgas" gleichsetzt, suchte nach einer Alternative und fand diese in der "NEUEN MEDIZIN". Vater Pilhar untersagte die Chemotherapie für seine Tochter, Schulmediziner erstatteten Anzeige. Daraufhin flüchtete die Familie nach Malaga. Zu Hamer.

Seine Theorien entwickelte der Wunderheiler kurz nachdem sein Sohn gestorben war. Da erkrankte der Internist selbst an einem Tumor. Ein Hoden mußte entfernt werden. Seit damals behauptet Hamer, Krebs entstehe durch Konflikte. Und allein die Lösung dieser, die "Konfliktolyse", führe zur Heilung oder – falls unlösbar – eben nicht.

Auf Basis dieser Theorie praktizierte er zunächst in Deutschland. In psychiatrischen Gutachten wurde Hamer eine "psychopathische Persönlichkeitsstruktur" attestiert, sein Wesen sei mit dem "Begriff des Fanatischen zu beschreiben". Dem Internisten wurde die Berufsberechtigung entzogen. Seit 1990 agiert er als "Berater", er verbreitet seine Theorien in Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und der Schweiz. Inzwischen hat er Tausende von Anhängern, ist derzeit aber untergetaucht – gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl vor.

Ein "Mutterkonflikt"
Bei Olivia diagnostiziert Hamer einen "Mutterkonflikt". Während der Konfliktolyse in Malaga wuchs der Tumor des Mädchens auf die Größe eines Fußballs, wog bald mehr als sechs Kilo.

Das Schicksal des Mädchens wurde zu einem internationalen Medienspektakel, in Österreich sogar zu einem Politikum. Innen- und Justizministerium schalteten sich ein, selbst der Bundespräsident appellierte an die Eltern. Einer Wiener Kinderärztin gelang es schließlich, die Familie zur Rückkehr zu bewegen. Olivia wurde operiert und chemotherapiert.

Bis dahin hatten die Staatsanwaltschaft in einigen Ländern bereits mit Vorerhebungen begonnen, die bald mit Gerichtsurteilen enden sollten. In Österreich wurden zunächst Olivias Eltern wegen fahrlässiger Körperverletzung und Entziehung einer Minderjährigen aus der Macht der Erziehungsberechtigten zu mehrmonatigen bedingten Haftstrafen verurteilt.

In Deutschland wurde Hamer zu 19 Monaten unbedingter Haft verurteilt – er hatte drei todkranke Krebspatienten erfolglos betreut. Und in Frankreich wurde der 64-Jährige erst vergangenen März zu neun Monaten unbedingter Haft verurteilt. Wegen Betrugs und Komplizenschaft bei der illegalen Ausübung medizinischer Tätigkeit mit Todesfolge. Zu dieser Zeit war Hamer, gegen den in Deutschland ein weiteres Strafverfahren anhängig ist, bereits untergetaucht. Ein internationaler Haftbefehl wurde erlassen.

"Ich muß im Exil bleiben", entschuldigte sich Hamer schriftlich bei den Teilnehmern am "2. Internationalen Kongreß für Neue Medizin", der vor zwei Monaten in Biel in der Schweiz stattfand. Eine Abordnung von Polizisten war vergeblich zu seiner Festnahme angerückt. In seiner Grußbotschaft befahl der charismatische Wunderheiler seinen "Mitstreitern", den Kampf gegen Schulmedizin und Chemo weiterzuführen: "Wir müssen versuchen, dieses fruchtbare Massenmordverbrechen zu verhindern."

"Giftschock"-Therapie
In diesem Sinn brachte Vater Pilhar, der seinen Beruf als EDV-Fachmann an den Nagel gehängt hat und nun Seminare für "Neue Medizin" veranstaltet, bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen vier Wiener Schulmediziner ein. Wegen "vorsätzlicher Inkaufnahme des Totschlags". Weil eine Chemotherapie "möglicherweise das Ableben" der Patienten beschleunige und dieser "Giftschock" einen "experimentellen Charakter" besitze. Die Anzeige wurde vor wenigen Wochen abgewiesen. Vater Pilhar kündigte daraufhin weitere Schritte an.

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