"Neue Germanische Medizin":
Es gibt keine Krankheiten, nur seelische Konflikte!

Der Standard, 16. Februar 2016, 05:30

Die Ideen dieser "Heilkunde" sind nicht nur absurd, rassistisch und antisemitisch. Sie sind für ernsthaft Kranke vor allem auch lebensgefährlich 
Florian Freistetter

Foto: Heribert Corn

Wer braucht schon Transfusionen? Geht es nach den Proponenten der "Neuen Germanischen Medizin" [Anm: Warum benennt Freistetter nicht gleich am Beginn des Artikels Dr. Hamers Entdeckung richtig?], müssen lediglich innere Konflikte aufgelöst werden. Ein absurd-gefährliches Heilsversprechen.

Krebs, Diabetes, Multiple Sklerose und alle anderen Erkrankungen entstehen nicht so, wie uns das die Schulmedizin weismachen will. In Wahrheit ist alles ganz anderes, und dank dieser Wahrheit kann man alle Erkrankungen heilen. Und erfahren kann man sie am 9. März im oststeirischen Weiz.

Ein bisschen Engagement ist allerdings nötig, wenn man daran teilhaben möchte: "Der genaue Vortragsort wird drei Tage vor Termin per Email bekannt gegeben. Lassen Sie sich hierfür in meinen Verteiler eintragen." Wer sich entsprechend konspiratorisch anmeldet und das nötige Eintrittsgeld zur Hand hat, kann dann aber den "Einführungsvortrag in die Germanische Heilkunde®" hören.

Haft und Flucht

Die Germanische Heilkunde ist auch als "Germanische Neue Medizin" bekannt und wurde von Ryke Geerd Hamer entwickelt. Der Deutsche studierte Medizin und Theologie; seine Zulassung als Arzt wurde ihm aber schon 1986 entzogen. Seitdem praktiziert er trotzdem weiter, was ihm im Laufe der Jahre mehrere Haftstrafen eingebracht hat. Weiteren, unter anderem in Österreich und Deutschland vorliegenden Haftbefehlen hat er sich 2007 durch Flucht nach Norwegen entzogen.

Seine Mission zur Verbreitung der "Germanischen Neuen Medizin" führen andere fort, zum Beispiel der Österreicher Helmut Pilhar, auf dessen Homepage auch der Vortrag in Weiz angekündigt wurde. Das, was dort zu hören sein wird, beschreibt die Deutsche Krebsgesellschaft in einer Stellungnahme (PDF) als "ein unhaltbares, abstruses, un- und pseudowissenschaftliches Gedankengebäude".

Konfliktlösung statt Behandlung

Eine Einschätzung, die angesichts der Lehre Hamers durchaus nachvollziehbar ist. Jede Erkrankung, so die "Germanische Neue Medizin", entstehe durch ein "Konfliktschockerlebnis"; also ein unvorhergesehenes seelisches Trauma. Der Körper reagiere darauf mit einem "sinnvollen biologischen Sonderprogramm (SBS)", das wir als Krankheit wahrnehmen würden, das eigentlich aber schon Teil des Heilungsprozesses sei. Man dürfe nur auf keinen Fall auf die Idee kommen, dieses "Sonderprogramm" durch Medikamente oder Operationen zu stören, sondern müsse das Konflikt-Erlebnis "auflösen". Dann heile sich der Körper von selbst.

Entdeckt hat Hamer diese angeblichen Zusammenhänge, die in der "Germanischen Neuen Medizin" auch unter dem Namen "Die Eiserne Regel des Krebs" bekannt sind, als er nach dem Unfalltod seines Sohnes an Hodenkrebs erkrankte. Seitdem ist Hamer davon überzeugt, dass jeder Krankheit irgendein traumatisches Erlebnis zugrunde liegt, und entwickelte abenteuerliche Thesen.

Karies durch "fremde" Kinder

Karies zum Beispiel sei ein Konflikt des "Nicht-zubeißen-Könnens", der bei Kindern entsteht, wenn diese von älteren ausländischen Mitschülern eingeschüchtert werden. AIDS würde nicht existieren, sondern sei nur eine "Smegma-Allergie", und wenn eine linkshändige Frau an Diabetes erkrankt, dann liegt das daran, dass sie sich vor dem männlichen Glied ekelt. So jedenfalls erklärte Hamer seine Lehre in einem "Spiegel"-Artikel aus dem Jahr 1997, der auch auf der Homepage von Helmut Pilhar reproduziert wird.

Eine "Smegma"-Allergie und den Diabetes-auslösenden Penis-Ekel linkshändiger Frauen könnte man noch als abstruse Spinnerei abtun. Die spezielle Nennung der "ausländischen" Mitschüler, die für Karies verantwortlich sein sollen, erzeugen – zusammen mit der Bezeichnung der Lehre als "germanisch" – dagegen ein ganz anderes Bild. Ein Bild, das Hamer von Norwegen aus weiter bestärkt.

Die Juden sind an allem Schuld

In einer Dokumentation des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahr 2010 hatte er beispielsweise keine Hemmungen, die Chemotherapie als eine Erfindung und "Waffe" der Juden zu bezeichnen:

"[Die Juden] möchten nicht, dass der Rest der Welt überlebt. Deshalb sind zwei Milliarden Menschen mit Chemotherapie umgebracht worden."

Deswegen, und weil die meisten Onkologen Juden seien, würde bei einer Chemotherapie in Wahrheit kein Versuch einer Heilung unternommen. Stattdessen würde man den Patienten winzige Gift-Chips einpflanzen, erklärt Hamer in der Dokumentation. Sie würden mit einer Spritze injiziert und enthielten eine Giftkammer, die per Satellit ferngesteuert ausgelöst werden kann.

Lukrative "Alternative"

Es liegt wohl aber nicht (nur) an den antisemitischen und rassistischen Aussagen Hamers, dass seine "Germanische Neue Medizin" trotz allem immer noch Anhänger hat. Der Grund dafür, dass es sich auch heute noch zu lohnen scheint, Vorträge und Seminare anzubieten, ist viel eher die simple Botschaft und die große Hoffnung, die kranke Menschen in seiner Lehre sehen wollen und können. Es ist absolut verständlich, dass man angesichts einer schweren oder gar tödlichen Erkrankung Angst hat. Angst vor der Krankheit selbst aber auch vor einer langen, komplizierten und vielleicht auch schmerzhaften Therapie.

Bekommt man nun aber erzählt, dass die Krankheit nicht nur keine Krankheit, sondern ein "Heilungsprozess" sei, und dass eine Therapie nicht nur unnötig sondern sogar schädlich wäre, dann erscheint die "Germanische Neue Medizin" auf einmal als verlockende Alternative zur "Schulmedizin". So verlockend, dass es sich offensichtlich lohnt, immer wieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz Vorträge und Seminare zu veranstalten. Der Termin in Weiz ist nur einer von vielen, dazwischen kann man sich auch zusätzlich in "Online-Webinaren" über die "Germanische Neue Medizin" informieren.

Tödliche Verlockung

Das alles wäre noch nicht so schlimm, wenn es nicht eben gerade die schweren Krankheiten wären, die von Hamer und seinen Anhängern immer wieder thematisiert werden. Viele Erkrankungen benötigen keine spezielle Therapie und verschwinden auch von selbst wieder, wenn man dem Körper die entsprechende Ruhe gönnt. Aber viele eben auch nicht. Und da die "Germanische Neue Medizin" so gut wie immer von jeglicher Therapie oder medikamentösen Behandlung abrät, hat das für ihre Anhänger dramatische Folgen.

"Von 50 Krebspatienten, die von Hamer behandelt wurden und deren Schicksal deutsche Behörden überprüften, überlebten nur 7", schreibt der "Spiegel" in einem Bericht aus dem Jahr 1995. Anlass war der Fall der krebskranken Olivia Pilhar, der europaweit Aufsehen erregt hatte. Olivia, deren Eltern ihr eine medizinische Behandlung verweigerten und ganz auf Hamers Lehre setzten, konnte schließlich doch noch vernünftig therapiert werden.

Ahndung und Aufklärung

2010 hatte die 12jährige Susanne aus Deutschland nicht so viel Glück. Auch ihre Eltern brachen die Therapie ab, um das Kind ganz der "Germanischen Neuen Medizin" zu überlassen. Obwohl ihr Krebs gut behandelbar gewesen wäre, starb Susanne. Hamer ist sich natürlich keiner Schuld bewusst und erklärt, dem Mädchen wäre unbemerkt einer jener Gift-Chips implantiert worden, mit dem man sie dann "punktgenau ausknipsen" konnte.

Angesichts solcher Aussagen bleibt einem nicht mehr viel übrig, als noch einmal auf das Fazit der Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft zu verweisen:

"Deshalb ist die "Germanische Neue Medizin" mit allem Nachdruck als einerseits absurd, andererseits aber bewiesenermaßen gefährlich zurückzuweisen. Ihrer Verbreitung muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – juristisch und auf dem Wege der Aufklärung – Einhalt geboten werden." (Florian Freistetter, 16.2.2016)

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