Pfusch in der Krebsforschung

DIE WELT, 05.01.2016

Schlampige Grundlagenmedizin: In Tumor- und Schlaganfall-Studien geht es selten wissenschaftlich korrekt zu

Viele medizinische Grundlagenstudien sind mangelhaft und können kaum überprüft werden. Zu diesem Urteil kommen zwei Forscherteams aus Deutschland und den USA in „PLOS Biology“. Als Gründe für die teils erschreckend dürftige Qualität sehen Experten grundlegende Fehler des wissenschaftlichen Systems sowie „Wunschdenken“ der beteiligten Wissenschaftler.

Die beiden Studien fallen in eine Zeit, in der sich mehr und mehr Experten über mangelnde Transparenz und Qualitätssicherung von Studien beklagen. So wurde etwa im vergangenen August in „Science“ bemängelt, dass sich die meisten Ergebnisse aus psychologischen Studien nicht reproduzieren lassen. Die Zweifel werden nun weiter angefacht. So überprüften Forscher um Constance Holman und Ulrich Dirnagl vom Uniklinikum Charité in Berlin Hunderte Schlaganfall- und Krebsstudien und konzentrierten sich auf die Versuchstiere. Oft wurde die Zahl der Ratten und Mäuse nicht exakt angegeben. Noch erstaunlicher: Bei vielen Studien „verschwanden“ Versuchstiere. „Der Verdacht liegt nahe, dass Tiere aus den Versuchen herausgenommen werden, wenn sie etwa eine besonders schwere Krankheitsausprägung zeigen“, sagt Schlaganfallforscher Dirnagl. Das Problem: Mit der Herausnahme werde das Studienergebnis verfälscht. „Für mich ein typischer Fall von Bias“. Unter Bias werde hier der Wunsch des Forschers verstanden, dass seine Substanz wirke. Es gehe also nicht um bewusst betrügerische Absichten, sondern vielmehr um „Wunschdenken“.

Ein weiteres Problem sei die oft zu geringe Gruppengröße von durchschnittlich nur acht Tieren. „Nehmen Sie dann ein Tier heraus, dann kommt das Ergebnis Würfeln gleich“, sagt der Neurologe. Laut Dirnagl zeigt der Befund nur die Spitze des Eisbergs. Diese pessimistische Einschätzung wird durch die zweite in „PLOS Biology“ veröffentlichte Studie noch gestützt: Forscher der US-Universitäten Emory und Stanford prüften die Reproduzierbarkeit und Transparenz von 441 Studien von 2000 bis 2014. Ergebnis: Die meisten Studien gaben weder Rohdaten noch vollständige Versuchsprotokolle an und erwähnten auch nicht, wer die Arbeit finanziert hatte oder ob mögliche Interessenkonflikte bestanden.

„Wissenschaftliche Karrieren werden derzeit gemacht, wenn Sie etwas Neues, Spektakuläres finden. Das ist der Weg, um Professor zu werden“, bemängelt Dirnagl. Es spiele keine Rolle, ob man seine Fallzahlen genau angebe oder neutrale Ergebnisse produziere.

dpa

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