Olivia Pilhar: Strafprozeß gegen Eltern
SV Prosenz
Gutachten
Es handelt sich hier um eine Gutachtenserstellung nach Art eines Aktengutachtens, das seine Informationen aus einem umfangreichen Akteninhalt nach üblichen juristischen Begriffen bezieht, aber auch aus damit beigestellten zusätzlichen Informationen in Form von Schriften, Videobändern, zusätzlicher Literatur, die ja schon für das erste Gutachten zur Verfügung gestanden sind. In der Zwischenzeit hat jeder sich zusätzlich informieren können durch die allgemein zugänglichen Medien und auch durch die Selbstdarstellung des bzw. der Beschuldigten, wobei man sagen muß, daß die Informationen bezüglich Herrn Pilhar ganz wesentlich umfangreicher sind, als sie bezüglich Frau Pilhar zur Verfügung stehen. Wie schon gesagt, ist ein persönlicher Kontakt trotz Bemühungen meinerseits und andererseits verweigert worden.
Ich möchte auf die schriftlichen Gutachten vom 02.01.1996 hinweisen und halte diese Ausführungen und das Kalkül aufrecht. Dies betrifft die jetzige Fragestellung,
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nämlich zur psychischen Konstellation und Persönlichkeit der Beschuldigten.
Ich habe dazu im Gutachten betreffend Herrn Pilhar zu einzelnen Persönlichkeitsfacetten Stellung genommen, soweit sie aus dem zur Verfügung stehenden Material abzuleiten waren. Sicherlich ist primär die Frage nach der Intelligenz wichtig, wenn man die Zurechnungsfähigkeit beurteilen will, zumal ja auch gerade beim Fahrlässigkeitsdelikt die Frage der Intelligenz speziell erwähnt wird, weil eben eine Unterbegabung letztlich ein strafwürdiges Verhalten nicht möglich macht und eine Strafe gar nicht ausgesprochen werden könnte. Ich weiß es nicht, aber ich glaube, daß jeder hier Anwesende sich ein Bild machen konnte, das dieses Kalkül bestätigen wird, nämlich, daß man hier von einer gut durchschnittlichen bis über gut durchschnittlichen Intelligenz und Begabung ausgehen kann, und daß keinesfalls irgendeine Einschränkung der intellektuellen Fähigkeiten einen Grad erreichen kann, der an der Fähigkeit, rational begründete Entscheidungen zu treffen und sich kritisch mit Lebensproblemen auseinanderzusetzen, Zweifel aufkommen lassen würde. Freilich muß man schon hier anmerken, daß diese prinzipielle Kritikfähigkeit speziell auch in dem gegenständlichen Begutachtungsthema doch auch eine partielle Kritikschwäche beinhaltet. Die Frage ist, wie denn bei der vorliegenden Intelligenz und des sicherlich überdurchschnittlichen Wissensstandes eine solche partielle eingeschränkte Kritikfähigkeit möglich ist. Darauf werde ich dann noch eingehen. Rein prinzipiell aber ist es so, daß sich der Beschuldigte aufgrund von persönlichen Meinungen, Vorurteilen, Neigungen und eines sehr einseitig ausgewählten Selbststudiums auf bestimmte Richtungen festlegt und dabei zu einer Selbstüberschätzung gelangt, die man, konfrontiert
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man diese Meinungen mit der wissenschaftlich untermauerten Expertenmeinung, eigentlich letztlich als in der Überschätzung hypomanisch und in der rationalen Untermauerung als kritikschwach bezeichnen muß. So würde ich diese themabezogene partielle Kritikschwäche definieren. Damit ist auch das Erkenntnisvermögen partiell als eingeschränkt zu bezeichnen. Der Beschuldigte bezeichnet sich zwar selbst ausdrücklich als nicht ideologisch, religiös motiviert, er will auch absolut nicht als fanatischer Jünger Dr. Hamers sich selbst bezeichnen oder bezeichnet werden. Es ist aber doch sehr wahrscheinlich, daß in Herrn Pilhars Gedankenwelt schon immer eine gewisse Ablehnung behördlicher, schulmedizinischer, juristischer Strukturen, zugegebenermaßen mit allen ihren Mängeln, unterschwellig vorhanden war, und daß es dann unter dem emotionellen Druck der tödlichen Bedrohung der Tochter Olivia zu einer Ausformung dieser eingeschränkten Erkenntnismöglichkeit gekommen ist, nämlich daß Meinungen, die z.B. schulmedizinische Entscheidungen und Verhaltensweisen als schlecht bis verbrecherisch hinstellen sofort akzeptiert werden, daß die dazu ja reichlich vorhandene Literatur beschafft, verschlungen, zur absolut richtigen Meinung erhoben wird, und daß der unkritisch erhöhte Stellenwert von eigenen negativen Erlebnissen unkritisch zur Maxime dieser Ideologie erhoben wird. Wissenschaftlichkeit wird nur von der Gegenseite erwartet, wird aber für die eigene Meinung nur sehr begrenzt eingesetzt. Dadurch wird manches falsch interpretiert, und in dem ideologischen Gebäude, das dann errichtet wird, macht sich zunehmend eine Realitätsferne und ein mangelndes Realitätsverständnis bemerkbar. Herr Pilhar betont zwar immer wieder, es geht um nichts anderes als um das Leben von Olivia, aber es ist doch nicht zu übersehen,
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daß es ihm dann zunehmend auch darum geht, daß der, wenn man will, Guru Dr. Hamer gegen die Phalanx der Schulmedizin und der Pharmaindustrie obsiege.
Ein weiterer zu diskutierender Punkt ist eine paranoide Reaktionsbereitschaft beim Beschuldigten. Zuerst sei gleich festgestellt, daß zwischen einer z.B. paranoiden Psychose und einer paranoiden Reaktionsbereitschaft ein großer Unterschied besteht, denn eine Psychose ist eine Psychose, und die muß man erst einmal feststellen. Diese steht hier überhaupt nicht im Bereiche der Diskussion. Paranoide Verhaltensweisen, paranoide Reaktionen sind das Inventar einer sonst ganz normalen, unauffälligen Persönlichkeit, können es sein, aber immerhin, es führt dann doch, wenn diese Neigung besteht, zu auffälligen Verhaltensweisen, die wir hier in ihrem Stellenwert diskutieren sollen. Im gegenständlichen Fall müssen wir feststellen, und das können wir lesen, das können wir hören, sehen, in dem Material, das zur Verfügung steht, daß der Beschuldigte in seinem Kampf Reaktionsweisen zeigt, die mit der Realität und der tatsächlichen Bedrohung dann eigentlich nichts mehr realistischerweise zu tun haben, etwa in der Form: Olivia muß sterben, Dr. Hamer muß ausgelöscht werden, weil es Staatsterror, medizinische Machtbestrebungen und das Profitdenken der Pharmaindustrie so wollen. Freimaurerkreise bedienen die Hampelmänner der Justiz und der Gutachtenserstellung nach ihrem Belieben, Sachverständige vollziehen selbstverständlich nur das, was von diesen dunklen Mächten befohlen wird, sie sind die Vollstrecker der Auslöschung der NEUEN MEDIZIN und damit auch ihrer Vertreter, d.h. im gegenständlichen Fall der Familie Pilhar und Olivias; jede Entscheidung der zuständigen Ämter, jeder Gerichtsbeschluß, jede ärztliche
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Handlung wird aus böser Absicht gesetzt, und diesem verbrecherischen Mafiakomplott soll Olivia von diesen Mächten geopfert werden. Dagegen treten nun Herr und Frau Pilhar, Dr. Hamer und die Unzahl seiner von den Ermordungen durch die Schulmedizin geretteten Patienten an. Hier übernimmt der Beschuldigte voll Dr. Hamers Vorstellungen, ein Mosaikstein paßt für ihn zum anderen, das ausgefeilte paranoide Agieren Dr. Hamers gibt dazu den moralischen Rückhalt und den wissenschaftlichen Background. In Verfolgung dieser Ziele werden x Eingaben, Noten, Depeschen an Gerichte, Kliniken, verschiedene behördliche Instanzen bis hinauf zum Bundespräsidenten gemacht und ein Heer von Anwälten des Inlands und Auslands bemüht, die dann doch bisher relativ rasch gewechselt werden. Dieses paranoide Zeremoniell trifft natürlich auch für das Agieren gegen den psychiatrischen Sachverständigen zu. Allerdings, um das nochmals festzustellen, dieses paranoide Verhalten wird nicht von anderen erkennbaren psychopathologischen Phänomenen aus den Unterlagen begleitet, die es auch nur in die Nähe einer paranoiden Psychose rücken würden. Wenn man nun in dezidierter Stellungnahme zur Fragestellung gutachterlich zusammenfaßt, dann wird man bezüglich eines körperlichen Mangels nicht den Psychiater fragen, aber das steht ja auch gar nicht im Raum; jeder kann sehen, hier ist kein körperlicher Mangel vorhanden. Der Mangel des geistigen Bereiches, also Unterbegabung, Schwachsinn, sonst gestörte rationale Verhaltenssteuerung, kann hier, wie schon ausgeführt, ausgeschlossen werden.
Was bleibt, ist, zur Frage des emotionellen, charakterlichen und Persönlichkeitsbereiches Stellung zu nehmen. Hier wird ja davon ausgegangen, daß solche Komponenten nur dann für Schuldzumessung oder
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Schuldexkulpierung relevant werden sollen, wenn sie dem Schweregrad einer Psychose gleichzusetzen sind, d.h. wenn sie über den Punkt der Zurechnungsfähigkeit oder -unfähigkeit die Schuldzumessung behindern. Wenn man also solche Störungen des Persönlichkeits-, des Charakterbereiches berücksichtigen will, dann müssen sie so ausgeprägt sein, daß sie Zurechnungsunfähigkeit nach sich ziehen. Das ist Psychosewert.
Dazu kann man feststellen, daß die vorhandenen Persönlichkeitsauffälligkeiten einen solchen Psychosewert keineswegs erreichen. Ich würde die Persönlichkeit aufgrund der vorliegenden Informationen einmal als die eines Fanatikers bezeichnen und möchte ein paar Punkte skizzieren, was man unter diesem Begriff verstehen kann, und wie man das hier anwenden soll. Ich glaube, daß man einen Fanatiker als jemanden definieren kann, der sein Leben, aber auch das Leben möglichst vieler anderer um sich herum nach bestimmten Prinzipien und zur Erreichung eines bestimmten Zieles ausrichten will. Es gibt im Bezug der dazu gesetzten Aktivitäten die Möglichkeit, daß sich jemand völlig selbst genügt, oder wenn jemand in einer Höhle wohnt oder oben auf der Säule steht, bis er verdurstet und ausdörrt; dann ist niemand anderer davon mitbetroffen, als Extrem genannt. Wenn man aber z.B. für eine bestimmte Gruppe, für ein Volk, für die ganze Menschheit antritt, um sie diesen Prinzipien zu unterwerfen, dann kann, wenn es erfolgreich ist, eine sehr große, auch negative Auswirkung erwartet werden. Im gegenständlichen Fall geht es ja darum, daß der Beschuldigte auf einen Schutzbefohlenen, auf sein Tochter diese Prinzipien anwenden möchte, und die Frage ist, kann er das, darf er das; dürfen es andere. In diesem Sinn ist sicher vom psychiatrischen Standpunkt aus eine
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Erörterung und juristische Einschätzung dieser Frage für unser ganzes Land nicht unbedeutend.
Ein Fanatiker wird in den meisten Fällen bestimmte Umstände und reale Tatsachen, Erfahrungstatsachen der menschlichen Gesellschaft, von Institutionen usw., vor allem Mängel, Fehler, Ungereimtheiten, Ungerechtigkeiten mit Recht aufgreifen, aber dann kommt eben das wichtige, er macht aus solchen Bruchstücken dann eine Ideologie, er zimmert sich eine Ideologie, und diese zeigt dann ein zunehmend gestörtes Verhältnis zur Realität.
Ein Fanatiker wird auch, wenn er sich längere Zeit mit seinen Inhalten beschäftigt, ein sehr großes Detailwissen besitzen, aber die Schwierigkeit wird sein, daß er damit Zusammenhänge und Hintergründe erklären will und das dann meistens danebengeht und die wahren Hintergründe nicht erfaßt werden. Daher sind auch die Folgerungen, die daraus gezogen werden und die angebotenen Problemlösungen oft nicht unrichtig, aber doch oft zunehmend falsch und auch irreal, nicht anwendbar.
Bei einem Fanatiker kommt es dann oft dazu, daß das gesamte Denken eigentlich blockiert wird, denn es wird in den Dienst dazu gestellt, die Richtigkeit der eigenen Ideologie zu beweisen und die Falschheit des anderen Teils der Menschheit. Es resultiert daraus eine Unüberzeugbarkeit, eine Uneinsichtigkeit. Es besteht bei Fanatikern meist eine gesteigerte Aggressivität, es kann aber auch das Gegenteil sein. Religiös motivierte Menschen machen genau das Gegenteil von Aggressivität; wenn man sich selbst genügt, setzt man auch keine Aggressionsakte. Auf der anderen Seite gibt es Extreme, die in das Sadistische, Masochistische hineingehen, aber auch diese Extreme sind Begriffe, die man hier nicht verwenden braucht.
Die Aktivitäten, die aus einem Fanatismus heraus entspringen, können wie gesagt eng sein,
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Selbstzweck sein oder die ganze Menschheit erfassen, die Weltverbesserer. Sie können durch verbale Aktivitäten, predigen oder publizieren oder was auch immer, sich äußern oder auch durch Gewaltanwendung, extrem revolutionären Terrorismus usw. Sie können aber auch, und das ist hier vielleicht zutreffend, durch ihren Zwang auf nahestehende Menschen für diese schädigend sein, seien es nun Erwachsene oder seien es eben auch Kinder. Das ist dann ein Zwang, der absolut gut gemeint sein kann, aber eben zu einer Schädigung führt. Schädigung heißt, daß ein Fanatiker durchaus rücksichtslos sein kann gegenüber sich selbst, also zur Selbstzerstörung führen, und natürlich auch mit der Zerstörung von Eigentum, Leib und Leben anderer Menschen, die er beeinflußt, auch nicht zimperlich umgeht und das durchaus in Kauf nimmt.
Aufkommendes Schuldbewußtsein wird dann durch die Ideologie verdrängt. Vielleicht ist es hier von Bedeutung, daß man sich vorstellt, daß jemand es in Kauf nimmt, einen sichtlich sich verschlechternden Gesundheitszustand, der besorgniserregend bis hin zu einer Lebensgefahr führt, in Kauf nimmt und sich sagt, es muß gutgehen.
Damit wird bewiesen, daß das Prinzip, nach dem ich die Entscheidungen treffe, das richtige ist. Was ist aber dann, wenn es nicht so ist und das Kind stirbt? Dann kann man hinterher noch sagen, das war nicht richtig, aber das Kind ist eben dann tot. Diese Möglichkeit kann z.B. von einem Fanatiker in Kauf genommen werden.
Ich möchte noch einmal kurz die wichtigsten Punkte zusammenfassen: Es liegt hier kein Intelligenzmangel vor. Es liegt keine prinzipielle Einschränkung der Kritikfähigkeit vor. Die Handlungsfähigkeit ist auch prinzipiell nicht eingeschränkt. Für das tatgegenständliche Thema liegt eine partielle Kritikschwäche und ein eingeschränktes Entscheidungs- und Auffassungs-
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vermögen insofern vor, als aufgrund der Persönlichkeitsstruktur nach Art eines ideologisch motivierten Fanatikers vermeintlich für das kranke Kind einzig lebensrettende Maßnahmen getroffen worden sind, und auch gegen den wiederholten Rat aller sonst damit befaßten Ärzte und eingesetzten Entscheidungsträgern dieses Verhalten verfolgt wurde, und auch durch das augenscheinliche Verschlechtern des Gesundheitszustandes bis in die Nähe des Sterbens nicht die sonst einem Menschen vergleichbaren Intelligenzniveaus, einem sonst in gleicher Weise absolut besorgten Vater klar werden mußte, daß so, wie die Schulmedizin niemals hundertprozentige Heilungen verspricht, auch offenbar bei der Hamerschen NEUEN MEDIZIN ein gewisser Prozentsatz von Therapieversagern geschehen kann, und daß er jetzt seine Verantwortlichkeit für seine Entscheidungen auch an anderer Stelle suchen müsse.
Diese Persönlichkeitseigenheit, gekennzeichnet vor allem durch den im vorigen näher beschriebenen Fanatismus und die paranoide Reaktionsbereitschaft, erklärt dieses Handeln, erklärt auch durchaus noch das jetzige Festhalten an dieser Einstellung, erreicht aber doch nirgends das Ausmaß, daß an der Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit gezweifelt werden könnte.
Zur Zweitbeschuldigten Erika Pilhar ist zu sagen, daß sehr, sehr wenig Information vorliegt und natürlich ebenfalls ein persönliches Gespräch verhindert wurde. Es kann daher nur aus den bekannten Unterlagen bezüglich der Zurechnungsfähigkeit und der intellektuellen Begabung ausgesagt werden, daß hier ebenfalls eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz vorliegt, daß sich kein Faktum herauslesen läßt, das an der Kritikfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit Zweifel erheben
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würde, und daß, soweit das Material es zuläßt, bezüglich der Behandlung bzw. Nichtbehandlung der kranken Tochter Olivia weniger Fanatismus und Aktivität sichtbar wird. Weitere Aussagen zur Persönlichkeit können aber nicht getroffen werden.
Es wird, soweit mir das bekannt ist, bei der dritten Gruppe der für die Beurteilung einer Fahrlässigkeit erörterten, im psychischen Bereich anzusiedelnden Eigenschaften von einigen Ausdrücken gesprochen. Es wird der Charakterbereich, der Persönlichkeitsbereich, der emotionelle Bereich erwähnt. Das am engsten gefaßte ist der emotionelle Bereich, denn dieser gehört natürlich in die Persönlichkeit hinein, solange er nicht psychotischen Veränderungen oder organischen Veränderungen unterworfen ist. Im gegenständlichen Fall ist dieser emotionelle Bereich nicht der, nach dem jetzt sehr viel geforscht oder gefragt wird, denn diese Kommentare meinen mit emotionellem Bereich eben die emotionelle Verarmung, die Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit, die überschießenden Affekte, Wut, Emotion, rasende Eifersucht usw. Das spielt hier ja alles keine Rolle.
Es ist ja so, daß im emotionellen Bereich gesehen werden muß, daß beide Elternteile in einer unglaublich aufopfernden Weise sich und ihr ganzes Leben, ihr Berufsleben usw. in den Dienst der Erkrankung ihrer Tochter gestellt haben, also eine aufopferungsvolle, positive emotionelle Beziehung, an der gar nicht gezweifelt werden kann. Der emotionelle Bereich ist hier eigentlich überhaupt nicht auffällig, im Gegenteil.
Allerdings reicht das Emotionelle dann hinüber in die Ausformung der paranoiden Reaktionsweise; denn hier kommen dann sehr starke Emotionen der Ablehnung, der Verweigerung, des Sichverweigerns, des Verweigerns anderer Menschen, über
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eigene Eigenschaften gefragt zu werden. Da gehört das Emotionelle auch hinein, aber das sind dann vorwiegend Facetten der Persönlichkeit und des Charakters, wobei man sagen muß, daß auch diese Kommentare abgestimmt sind auf, wie man sagt, psychopathische Persönlichkeitszüge, um das ganz kurz zu sagen - wobei aber hier überhaupt keine Rede davon ist; daß man z.B. den Begriff des Überzeugungstäters, was auch immer eigentlich darunter verstanden wird, oder des ideologisch motivierten Täters oder eben des Fanatikers nicht oder noch nicht findet, und daß man hier quasi Neuland beackert und schaut, wie man sich zurechtfindet, und wie das in der Beeinflussung einer Zurechnungsfähigkeit, einer Handlungsfähigkeit und natürlich dann im Ausmaß einer Schuldzumessung mildernd wirkt. Ich glaube nicht, daß es verstärkend wirken kann, eher mildernd.
Verteidiger Mag. Rebasso: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Sachverständige in der Frage dessen, was hier in Hinblick auf die Therapie objektiv richtig ist, von klaren Vorstellungen dahingehend ausgeht, daß die schulmedizinisch angezeigte Form mit Chemotherapie usw. die richtige Vorgangsweise gewesen wäre, und dann zum Ergebnis kommt, daß, wenn das mit einer entsprechenden Hartnäckigkeit abgelehnt wird, das nur dem Bereich des Fanatismus zugeordnet werden kann. Habe ich Sie so richtig verstanden?
SV: Die Frage, ob die NEUE MEDIZIN oder die Schulmedizin Recht hat, spielt meines Erachtens bei der psychiatrischen Begutachtung keine wirkliche Rolle; eine Rolle spielt, wie es zu erklären ist, daß ein höchst besorgtes Elternpaar über ein halbes Jahr einem schlechter werdenden Verlauf, einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, und zwar dramatischer Art, zusehen kann, und welche
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Persönlichkeitszüge dafür zur Erklärung herangezogen werden können.
Eigentlich müßte man ja sagen: Nachdem die Schulmedizin keineswegs 100% Heilungschancen irgendwo in Aussicht stellt und in der Lage ist, diese doch relativ genau anzugeben, müßte ein intelligenter Mensch sich eigentlich sagen, ich glaube zwar 100% an die NEUE MEDIZIN, aber scheinbar gibt es auch hier Therapieversager, denn es wird schlechter. Nach einer gewissen Zeit fragt man sich, warum man gerade hier eine 100%ige Heilung erwarten kann, trotzdem alles schlechter wird, und die Schulmedizin das aber nicht hat. Ich schließe daraus, daß es eben Persönlichkeitseigenheiten geben muß, die anders sind als ein normgerechtes Elternpaar. Daß man von den Schriften Dr. Hamers begeistert, hypnotisiert oder was auch immer sein kann - das ist auch bei Ärzten so, das ist bei Politikern so - ist ja auch schon ausgeführt und von mir auch festgestellt worden. Die Frage ist: es wird ein halbes Jahr lang schlechter, fast schon zum Sterben, und man nimmt immer noch nicht an, daß die Hamersche NEUE MEDIZIN auch Therapieversager haben kann. Da ist Erklärungsbedarf. Das heißt, daß meine Meinung zur NEUEN MEDIZIN hier eigentlich überhaupt nicht relevant ist und auch nicht einfließt.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wieso lassen Sie außer acht, daß sehr wohl kritische Meinungen zur schulmedizinischen Behandlung ja nicht von den Beschuldigten selbst erfunden worden sind und auch nicht nur von Hamer vertreten werden, sondern aus verschiedenen Quellen kommen? Ich glaube, auch ohne bei der Verhandlung dabeigewesen zu sein, hatten Sie genug Gelegenheit, auch aus dem Akt zu entnehmen, welche Palette speziell bei diesem schwierigen Krankheitsgeschehen an Meinungen
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vorliegt. Wieso kommen Sie angesichts dessen zu Ihrem Ergebnis, daß etwas in Richtung Fanatismus vorliegt?
SV: Ich möchte betonen, daß ich ebenfalls sehr kritisch meiner Profession gegenüberstehe, aber ich kann eigentlich nur zu dem, was ich selbst mache, also meinem Fach, eine kritische Stellungnahme abgeben.
Ich glaube, daß auch bekannt ist, daß ich an der Schulmedizin und an Institutionen, soweit sie mein Fach betreffen, wiederholt heftige Kritik geübt habe.
Nur ein kleines Beispiel: Die Chemotherapie in meinem Fach hat sich als wirkungslos erwiesen, Hirntumoren können mit der Chemotherapie nicht behandelt werden. Therapieversuche sind schon seit längerem mit der systemischen Chemotherapie aufgegeben worden, und das ist gut so. Ich glaube, daß man der sehr kritischen, unterschiedlichen Zumessung von positiven Effekten für die Chemotherapie je nach Alter und Art des Tumors sich sehr genaue Aussagen von der Schulmedizin erwarten kann. Im neurologischen Fachgebiet gibt es praktisch keine systemische Chemotherapie mehr.
Ich glaube, daß der Erklärungsbedarf nicht dort liegt, warum jemand der Hamerschen NEUEN MEDIZIN sich ergibt. Es ist auch nicht der Erklärungsbedarf, vor allem nicht vor Gericht, notwendig, wenn ein Mensch das für sich selbst so entscheidet. Freilich, wenn er es für andere, die nicht selbst entscheiden können und seiner Obsorge obliegen, macht, kann es bei einer Grippe, bei einer Lungenentzündung unproblematisch bleiben, aber wenn es eine Erkrankung mit Lebensgefahr ist, muß man darüber reden und sich fragen, warum so besorgte und ihr ganzes Leben für Olivia einsetzende Eltern nach einem halben Jahr vom Staat gezwungen werden Hilfe an anderer Stelle zu suchen. Das zeigt sich eben, so wie auch in allen weiteren
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Dimensionen und Lebensabläufen, insbesondere natürlich auch quasi in der Konfrontation der Psychiatrie mit den Beschuldigten; eine Verhaltensweise, die nicht rational erklärbar ist, sondern da sind diese Persönlichkeitseigenschaften da, und da setzt sich das Bild so zusammen, daß man das mit einem Wort, glaube ich, nicht unzutreffend sagen kann, das ist das Bild eines Fanatikers.
Verteidiger Mag. Rebasso: Kann es vielleicht sein, daß die Problematik darin besteht, daß die Entscheidung, gerade wenn sie für einen anderen Menschen getroffen wird, noch schwieriger ist, als wenn man sich selbst retten muß?
SV: Es steht außer Frage, daß die gesamte Situation und das Treffen von Entscheidungen zu der damaligen Zeit ausgehend vom Zurkenntnisnehmen dieser vernichtenden Diagnose für beide Beschuldigte äußerst problematisch und schwierig war, und daß man nur jedem Menschen wünschen kann, daß er nicht in eine solche schwierige Situation kommt.
Zweifelsohne hat Herr Pilhar alles versucht, was in seiner Möglichkeit lag, sich über diesen Krankheitsfall, Prognose, Verlauf, Behandlung usw. zu informieren, und ist aber dann auf einen Weg geraten, der sicherlich durch seine Persönlichkeitsstruktur, die ich schon beschrieben habe, vorgegeben war; das hätte ja noch immer nicht Gegenstand einer juristischen Betrachtung werden brauchen, wenn es sich eben nicht um diese schicksalhafte, schwere, tödliche Erkrankung gehandelt hätte.
Ich glaube, das selbe Argument wurde schon einmal auch von der Verteidigung gebracht, und ich finde, daß das sehr zutreffend ist. Wie gesagt, beim Husten, bei einem Schnupfen oder auch bei einer Pneumonie oder sonst einer schweren Erkrankung, die nicht tödlich bedroht, wird man gar nicht in diese
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Konfrontation unbedingt eintreten wollen. Es war das schicksalhafte dieser tödlichen Bedrohung, die dazu geführt hat, daß das Ehepaar jetzt hier sitzt.
Verteidiger Dr. Schefer: Müßten Sie Ihre Einschätzung im Bezug auf fanatische Persönlichkeit und/oder paranoide Persönlichkeit dann ändern, wenn Anhaltspunkte für Sie vorliegen, daß diese Hamertheorien richtig sein könnten?
SV: Nein, ich glaube nicht, denn wenn sie richtig sind - ich glaube nicht, daß sie richtig sind, aber wenn sie richtig wären, es ist nie das letzte Wort zu sowas gesprochen worden - bleibt trotzdem das Unfaßbare, daß man wohl mit Recht sagt, die Schulmedizin ist nie 100%ig und hat Therapieversager. Das wird niemand Vernünftiger anders sehen. Aber wenn mein Kind ein halbes Jahr nach der NEUEN MEDIZIN behandelt wird und wird so schlecht, muß ich doch wohl auch annehmen, daß die Hamersche Medizin Therapieversager hat.
Verteidiger Dr. Schefer: Der Gutachter hat eine einseitige Ausrichtung der Eheleute Pilhar auf eine Theorie oder auf eine Behauptung, wie die Krankheit zu heilen sei, behauptet, und zwar hat er behauptet, diese einseitige Ausrichtung sei auf die Theorien Dr. Hamers erfolgt. Aufgrund dieser einseitigen Ausrichtung sei zu folgern, daß dies fanatisch sein müsse. Ist das richtig?
SV: Die Einschätzung als Fanatiker beruht hauptsächlich darauf, daß Maßnahmen der Schulmedizin doch vor allem und ganz eindeutig zugunsten der Hamerschen NEUEN MEDIZIN abgelehnt wurden und - und das ist meiner Meinung nach das wichtigste - daß auch die Anwendung anderer Methoden, bestimmter Naturheilmittel, homöopathischer Tropfen, jener Maßnahmen, die man
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eindeutig als alternative Maßnahmen bezeichnen muß, über eine längere Zeit der Behandlung und Beobachtung zu einer Verschlechterung des Zustands, und zwar in dramatischer Weise, geführt haben.
Der springende Punkt ist, daß ich dann immer noch damit weitermache und mir nicht sage, so sehr ich an diese Methoden glaube, so muß ich doch einsehen, daß es auch dort Therapieversager gibt. Das ist eben nicht erfolgt, sondern, ganz im Gegenteil, ein ganz massiver Kampf gegen das nunmehrige Einschreiten der Schulmedizin.
Ich glaube, daß man in so einer Situation sich sagen hätte können, geben wir doch, wenn es so schlecht wird, auch der Schulmedizin eine Chance. Auch hinterher ist die Hamersche Medizin ganz massiv von den Beschuldigten vertreten worden. Das ist ja nichts Schlechtes, nur läßt es eben darauf schließen, daß egal welche alternative Behandlungsmethoden herangezogen worden sind, wenn schon nicht am Anfang, aber zumindest dann, wenn der schlechte Verlauf unübersehbar herantritt, nicht die Verantwortung für das Schicksal des Kindes anderen Menschen angeboten wird und Hilfe gesucht wird.
Verteidiger Dr. Schefer: Ich habe das so verstanden, daß Sie Ihre Qualifizierung nunmehr hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur, die Sie geschildert haben, einschränken auf die Gesamtbehandlung, die im betreffenden Zeitraum die Familie Pilhar ihrer Tochter zuteil werden hat lassen; auch die homöopathische Behandlung sei ein Indiz für eine fanatische Persönlichkeit.
In Ihrem schriftlichen Gutachten gehen Sie davon aus, daß es evident sei, daß das, was Hamer macht, falsch sei, und wenn er sich somit einer auch für einen Laien erkennbaren evident falschen Behandlungsweise zuwendet, deshalb eine fanatische Persönlichkeit vorliegt. Verstehe ich es richtig, daß Sie
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nunmehr hinsichtlich dieser Einschätzung eine Einschränkung vorgenommen haben?
SV: Nein, das ist nicht der Fall. Das habe ich nicht gemacht und auch nicht gesagt. Das wesentliche ist, daß zwei besorgte Menschen in einer Situation, wo ihr todkrankes Kind schlechter wird, auf alternativen Behandlungsmethoden beharren, wobei im großen und ganzen die Prinzipien der Hamerschen Medizin in den Vordergrund gestellt wurden. Darum geht es ja auch jetzt dem Beschuldigten, daß man da den großen Durchbruch mit Mithilfe der Krankheit seiner Tochter wird erzielen können.
Verteidiger Dr. Schefer: Es wurde von einem sachverständigen Zeugen gesagt, daß in Amerika eine abweichende Methode der Behandlung von Wilmstumoren durchgeführt wird, nämlich sofortige Operation ohne chemotherapeutische Behandlung. Meine Mandanten wollten einfach keine chemotherapeutische Behandlung zu diesem Zeitpunkt. Es gibt verschiedene Behandlungsweisen, vor der Operation Chemotherapie oder nicht. Dann gibt es die Behandlungsweisen der Homöopathie. Dann gibt es Behauptungen des Dr. Hamer, er habe auch eine Behandlungsweise gefunden.
Die Frage ist, war es zulässig, daß mein Mandant sich neben anderen Methoden auch dieser zugewandt hat? Würde es Ihr Gutachten verändern, wenn Anhaltspunkte dafür da wären, daß diese Theorien Hamers von Relevanz in der Wissenschaft sind? Ich beziehe mich auf ein Gutachten in dem Habilitationsverfahren des Dr. Hamer, das mir gegeben wurde. Wissen Sie von einem solchen Habilitationsverfahren? In Ihrem schriftlichen Gutachten sagen Sie nämlich, Dr. Hamer sei nicht promoviert, das Promotionsverfahren sei nicht zu Ende geführt worden. Gesetzt den Fall, dieses Habilitationsverfahren an der Universität Tübingen sei abgeschlossen,
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Herr Dr. Hamer habe die Habilitation erreicht, würden Sie dann immer noch sagen, mein Mandant sei fanatisch?
SV: Manches an den Ausführungen trifft auf mich nicht zu. Ich habe nie an Lebensdaten des Dr. Hamer mehr Überlegungen verschwendet, als es absolut nötig war. Wie das im Moment mit seinem Habilitationsverfahren aussieht, weiß ich nicht. Ich weiß, es ist mehrfach abgelehnt worden. Das ist nicht relevant.
Auch wenn verschiedene Behandlungsverfahren abgelaufen wären, z.B. auch wenn eine schulmedizinische Behandlung mit Chemotherapie und Operation oder ohne Operation gelaufen wäre und das Kind nach einem halben Jahr schlechter und schlechter wird würde niemand etwas daran bemängeln, daß man dann Alternativen versucht. Das wird sogar von der Schulmedizin durchaus empfohlen, daß man, wenn das nicht greift, und so ist es eben sehr oft bei der Schulmedizin, dazu rät, Alternativmethoden auszuprobieren. So sollte es in der anderen Richtung gehen. Wenn man sieht, es wird immer schlechter, muß man sich etwas einfallen lassen und kann bei dem nicht stehenbleiben. Darum liegt einer der Hauptfaktoren für die Diagnose auf einem Schuldausmaß, das hier erkennbar wird.
Verteidiger Dr. Schefer: Seitens der Verteidigung bestehen aufgrund der Aussage erhebliche Zweifel an der Kompetenz des Gutachters, wenn er für den Fall, daß jemand an einer wissenschaftlichen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland durch ein abgeschlossenes Habilitationsverfahren ein erfolgreiches Studium nachweist, zugrundezulegen, um einen Dritten als Fanatiker zu etikettieren.
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SV: Es sei darauf hingewiesen, daß bezüglich der Intentionen des Beschuldigten durchaus in seinen eigenen Worten und Schriften wiederholt gesagt wurde, daß ihm der endliche Durchbruch der Hamerschen NEUEN MEDIZIN mit einem Sieg über die Schulmedizin sehr, sehr am Herzen liegt und daß er sich sehr darüber freuen würde, wenn das anhand des Schicksals seiner Tochter gelänge. Da gibt es schriftliche Unterlagen über genau diese wiederholten Aussagen.
Verteidiger Dr. Schefer: Herr Pilhar hat mir ein Interview gegeben, das angeblich am 13.07.1989 in Düsseldorf geführt wurde, und zwar zwischen Prof. Dr. Mezger, Prof. Dr. Max Pfitzer, Professor für Pathologie und Psychopathologie, derzeit Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf, und Dr. Geerd Hamer, vormals Arzt für Innere Medizin, wo mehrere Fragen gestellt werden. Unter anderem wird auf die Frage des Dr. Hamer:
"Spektabilität, meinen Sie nicht, wenn es sein könnte, was ich Ihnen hier vorschlage, daß das, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen müßte?"
Darauf sagt Dekan Prof. Dr. Pfitzer - wobei ich nicht weiß, ob das eine Fälschung ist:
"Ja, vorausgesetzt, das ontogenetische (?) System der Tumoren ist auf allen Fallbereichen verifizierbar. Dann sind die Konsequenzen wirklich gewaltig."
Im Endeffekt sagt Prof. Pfitzer:
"Herr Hamer, ich kann Ihnen hier nicht zustimmen in allem. Wir haben es bisher immer anders gesehen. Ich sehe aber auch schon, daß wir für die alte Schulmedizin viele Zusatzhypothesen haben."
Es geht um die Einfachheit, mit der der Gutachter meint, herleiten zu können, daß der Beschuldigte paranoisch und fanatisch sei. Ist das dann bei Prof. Dr. Pfitzer auch vorliegend? Das wäre die Frage.
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Verteidiger Dr. Schefer legt eine Kopie des vorhin zitierten Interviews vor, welche zum Akt genommen wird.
Verteidiger Mag. Rebasso: Für Sie zeigt sich dieser Fanatismus auch an der Ablehnung Ihrer Person als Sachverständiger zur Beurteilung im Zusammenhang mit Fragen in diesem Verfahren? Ist das richtig?
SV: Aus dem schließe ich das nicht. Es ist halt passend.
Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie ausschließen, daß vielleicht für Ihre Meinung doch ein gewisser Schutz vor Ihrem eigenen Berufsstand und eine gewisse Befangenheit ausschlaggebend sein könnte, wenn Sie meinen, man könne den Fanatismus daran festmachen, daß jemand eine Beurteilung seiner Person durch einen Psychiater ablehnt?
SV: Das, was mich als Psychiater betroffen macht, ist das Erfahren von Ängsten und Vorurteilen auch heute noch gegenüber einer Psychiatrie, die in den letzten Jahrzehnten ihr Gesicht ganz gewaltig verändert hat und ihre Verhaltensweisen sehr weitgehend auf die Bedürfnisse von kranken, verunsicherten, ausgegliederten und frustrierten Menschen ausrichtet, was auch in der Begutachtung natürlich zum Ausdruck kommt. Daraus, daß solche Vorurteile nach wie vor auch bei intelligenten Menschen vorhanden sind, würde ich mich jedoch nie in der möglichst objektiven Beurteilung nach den Kriterien meiner Profession beeinflussen lassen. Ich ärgere mich weder drüber noch finde ich es psychisch auffällig, daß jemand, der diese Vorurteile hat, sich zumindestens reserviert gegenüber der Psychiatrie verhält. Ich glaube aber nicht, daß das in irgendeiner Weise
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in die objektive Beurteilung einfließt in der konkreten Gutachtensfrage.
Verteidiger Mag. Rebasso: Der Hergang des Falles ist auch dadurch gekennzeichnet, daß die von der Schulmedizin angebotene Behandlung nicht nur, wie Sie sagen, im Prozentbereich gewisse Therapieversager aufweist, sondern durchaus in ganz massiver Weise von verschiedenen Seiten, und eben nicht nur von seiten Hamer, kritisiert wird und überhaupt die Zweckmäßigkeit dieser Therapieformen in ganz massiven Zweifel gestellt wird. Würde das an Ihrer Beurteilung etwas ändern, wenn Sie das berücksichtigen? Wenn nicht, warum haben Sie das jetzt in Ihren Ausführungen nicht erwähnt, und spielt das letztlich für Sie keine Rolle bei der Beurteilung Ihrer Fragen?
SV: Ich glaube, daß ich das relativ ausführlich mitbehandelt habe, nämlich, daß einerseits die Erfolgsaussichten einer Chemotherapie äußerst unterschiedlich angegeben werden, je nach Alter, Tumorart und der Genese dieses Tumors, und daß z.B. in meinem eigenen Fach das gar nicht mehr gemacht wird, weil es keinen Erfolg hat. Auf der anderen Seite gibt es Erkrankungen, zu denen Gott sei Dank diese Erkrankung gehört, und daß einem, wenn man sich verantwortlich informieren will, auch als medizinischer Laie diese unterschiedliche Beurteilung klar werden muß. Wenn ich z.B. einen Hirntumor bei meinem Kind weiß und die Medizin sagt, Operation ist möglich, aber Chemotherapie bringt in dem Fall nichts, dann weiß ich, warum ich sie auch ablehne, denn die Erfolgschancen sind Null. Im gegenständlichen Fall hat man sich aber sagen lassen müssen, daß diese an einer großen Fallzahl statistisch abgesicherte Erfolgschance vorgelegen hat. Darüber muß man reden, nicht über diese ominösen 92
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% Chemotherapietote, die angeboten werden. Das ist ja unbrauchbar.
Zur Frage, ob denn nicht das Ablehnen einer Chemotherapie, wo die Kinder die Haare verlieren, einfühlbar ist, habe ich auch ausführlich Stellung genommen. Wenn besorgte Eltern am Beginn einer solchen Erkrankung, die ihnen auch schon von Anfang an als höchst bedrohlich mit tödlichem Ausgang geschildert wurde, zunächst nach Alternativen suchen, die weniger einschneidend sind und die auch der inneren Persönlichkeitsstruktur besser liegen, so würde ich das aus psychiatrischer Sicht verständlich, vertretbar und zunächst ohne wirklichen Schuldgehalt sehen, wenn man diese Alternativmethoden verfolgt. Es ist ja dann diese Entwicklung, die einen erhöhten psychologisch-psychiatrischen Erklärungsbedarf nach sich zieht. Wie kann man bei dieser Entwicklung glauben, die NEUE MEDIZIN sei 100%ig, da machen wir unbedingt weiter? Das ist der Punkt; nicht, daß man sagt, ich trau mich nicht über die Chemotherapie für mein Kind. Das ist verständlich. Daraus ist keine Abnormität abzuleiten.
Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sagen unter anderem, es wird etwas zur Maxime erhoben, es geht darum, daß Hamer obsiegen möchte usw. Sie machen letztlich auch Ihre wissenschaftliche These daran fest, daß Sie zu dieser Erkenntnis gelangen und diese dann auswerten. Kann es nicht so sein, daß jemand, der ein Strafverfahren gegen sich laufen hat, dem letztlich zum Vorwurf gemacht wird, er hätte beinahe sein eigenes Kind in den Tod gebracht, natürlich ein gesteigertes Bedürfnis hat, jetzt schon auch unabhängig vom Schicksal des Kindes danach zu trachten, daß in diese Frage größtmögliche Objektivität hineingebracht wird und daß das überprüft wird und all diese Forderungen aufstellt, die aufgestellt werden?
Seite 216
SV: Ich sehe aus dem Bestreben, die Prinzipien, nach denen ich das Kind behandelt sehen will, so zu überprüfen, daß Klarheit herrscht und sich das Prinzip womöglich als erfolgreich und einzig richtig oder überhaupt richtig herausstellt, nichts auffälliges und ziehe daraus auch keine Schlüsse. Da müßte man ja jeden Menschen, der sich um die Gesundheit bemüht, gewissermaßen ins psychiatrische Winkerl drängen. Das ist sicherlich nicht der Fall.
Selbstverständlich wird jeder Mensch schauen, daß die Prinzipien, die er für richtig hält und die für ihn ein so einschneidendes Erlebnis gebracht haben, überprüft werden, womöglich, daß sie sich als richtig herausstellen. Davon glaube ich nichts ableiten zu können, was darüber hinausgeht, was wir hier schon festgestellt haben.
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Der SV Univ. Doz. Dr. Prosenz gibt an, die Gebühren dem Gericht binnen 14 Tagen bekanntzugeben.