Olivia Pilhar: Strafprozeß gegen Eltern
Zeuge Mann
Zeuge Dr. Georg Mann, geb. 02.02.1953, Arzt, p.A. St.Anna-Kinderspital
fremd, gibt nach WE vernommen an:
Der ER: Welche Funktion haben Sie damals im Spital gehabt, als Sie mit dem Ehepaar Pilhar Kontakt gehabt haben?
Zeuge: Ich war Stationsarzt; von der Funktion her habe ich damals die Funktion eines Oberarztes erfüllt, allerdings nicht vom Titel her.
Der ER: Wer hat Sie mit dem Kind erstmals kontaktiert?
Zeuge: Das Kind war an dem Tag, das war ein Montag, bereits einige Tage auf dieser Station stationär aufgenommen. Ich als stationsverantwortlicher Arzt habe von mir aus im Rahmen einer kurzen Stationsvisite an diesem Vormittag den ersten Kontakt aufgenommen, indem ich in das
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Zimmer hineingegangen bin. Ich glaube, der Vater war vorher einmal kurz am Gang heraußen, da habe ich ihn gesehen, während ich ein anderes Gespräch geführt habe. Es war dann eine weitere Untersuchung, eine sogenannte Kernspintomographie, außerhalb des Hauses nötig, so daß ich ein definitives Gespräch erst am Nachmittag dieses Montags führen konnte, wobei das Kind schon am Donnerstag Abend, glaube ich, im St.Anna-Kinderspital aufgenommen worden war.
Der ER: Sie sagen, ein definitives Gespräch gab es am Montag Abend. Ist das das mehrfach zitierte Aufklärungsgespräch?
Zeuge: Wir haben früher einen etwas unglücklicheren Terminus gehabt, der Erstgespräch geheißen hat. Dieses Gespräch ist aber zunächst einmal ein Diagnoseaufklärungsgespräch und gleichzeitig benutzt man die Gelegenheit, um zunächst die Behandlungsrichtlinien zu erklären, die Risiken und natürlich auch die Folgen der Erkrankung bei Nichtbehandlung. Dieses Diagnoseaufklärungs- und bereits Therapiegespräch versuchen wir meistens zusammenzulegen, auch aus dem Grund, weil wir damit gleichzeitig Optimismus vermitteln können.
Der ER: Was haben Sie wem über Ihre Diagnose gesagt? Wie wurden die Eheleute Pilhar darüber informiert, worum es sich handelt?
Zeuge: Nachdem die Eltern mit dem Kind am frühen Nachmittag von der Untersuchung zurück waren, bin ich ins Zimmer gegangen mit der für mich eher positiven Botschaft, daß es nach unserem Dafürhalten wahrscheinlich nur ein Wilmstumor ist und daß damit die Chancen, daß das Kind ohne wesentliche Beeinträchtigung ganz gesund werden kann, sehr gut sind; wenn die Eltern einverstanden wären,
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könnte man mit einer relativ milden Form der Behandlung heute noch beginnen. Die Eltern haben daraufhin gemeint, da wäre sicherlich noch ein ausführlicheres Gespräch notwendig, was für uns ja auch selbstverständlich ist. Ich wollte nur keine Zeit verlieren und habe das quasi angeboten. Weil die Eltern ein Gespräch völlig zu Recht urgiert haben, sind wir dann ins Ärztezimmer gegangen und ich habe ihnen sehr detailliert die Verhältnisse erklärt, auch anhand des Bildmaterials, das zur Verfügung gestanden ist. Ich habe allgemein über das Wesen von onkologischen Erkrankungen gesprochen, kurzum, eine schulmedizinische Aufklärung betrieben, so wie sie gemacht werden soll, was sehr ausführlich war. Die Eltern haben auch sehr detaillierte Fragen gestellt und waren sehr besorgt und interessiert an diesen Verhältnissen.
Der ER: Die Beschuldigten haben ausgesagt, sie hätten sich - vielleicht auch aus anderen Gründen - nicht so richtig behandelt gefühlt.
Zeuge: Das ist mir nicht verständlich.
Der ER: Hat es zwischen Ihnen bei diesem Gespräch irgendwann einen Disput gegeben, ist gestritten worden?
Zeuge: Von der Form her war das nie der Fall. Durch ganz gezieltes Befragen habe ich langsam mitbekommen, daß sie eigentlich nicht dableiben wollen. Der Vater hat mich damals gefragt, was passierte, wenn sie nicht mehr kämen. Ich kann das wörtlich so sagen, ich erinnere mich, weil das ja nicht oft vorkommt. Ich habe gemeint: "Ich sage Ihnen das sehr ungern, aber es kann sein, daß Sie das alleine nach unseren Regeln dann gar nicht mehr entscheiden dürfen, wenn die Verhältnisse so kraß sind und das Kind auf jeden Fall sterben muß und auf der anderen Seite wir eine
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Behandlung anbieten, wo ohne große Nebenwirkungen das Kind gesund werden kann." Ich habe auch betont, daß ich das sehr ungern sage. Es war durchaus kein Streitgespräch, weil wir wissen, daß wir auf das Vertrauen der Eltern angewiesen sind und auf keinen Fall gegen die Eltern behandeln möchten. Wir haben ja primär das Interesse des Kindes im Auge, das ist unsere Aufgabe. Im Interesse des Kindes ist es auch immer, daß die Entscheidungen mit den Eltern zusammen getroffen werden. So ungefähr war der Tenor des Gespräches. Die Art und Weise, wie ich gesprochen habe, war ziemlich genauso, wie ich es jetzt hier erklärt habe.
Der ER: Was ist den Eheleuten Pilhar gesagt worden, welche medizinischen Konsequenzen das haben wird, wenn sie mit dem Kind weggehen?
Zeuge: Das ist sehr detailliert gefragt worden. Ich habe zunächst erklärt, daß eine kurzfristige Entfernung sicher keine wesentliche Verschlechterung für die Prognose des Kindes bedeuten wird. Ich habe das ganze Bildmaterial original unkopiert dem Vater mitgegeben und ihn gebeten, mir wenigstens die Bilder zurückzubringen, damit ich sie noch kopieren könne. Man könne dann ja weiterreden, innerhalb von Wochen und Monaten werde allerdings genau das eintreten, was eingetreten ist. Ich habe es wirklich so vorhergesagt. Ich habe gesagt, der Tumor wird so groß werden, daß Atemprobleme auftreten werden, der Tumor wird metastasieren, d.h. es werden Absiedelungen in der Lunge zunächst entstehen, damit steigt das Risiko, daß der Tumor platzt, wenn das Kind dann erst operiert wird, und man das Kind zusätzlich bestrahlen muß, daß also die Therapie intensiver werden muß und damit einhergehend natürlich auch die Überlebenschancen des Kindes mit der Zeit immer geringer werden. Das sei keine Sache von Tagen, aber sicher
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eine Sache von Wochen bis Monaten, bis das Kind sicher an der Erkrankung sterben muß.
Der ER: Sie haben es so vorhergesehen, wie es tatsächlich passiert ist und den Eheleuten Pilhar auch gesagt, was ohne eine Behandlung, wie Sie sie vorschlagen, geschehen wird?
Zeuge: Ja, das ist auf gezieltes Befragen des Vaters von mir so gesagt worden.
Der ER: Sie haben von Wochen und Monaten gesprochen. Haben Sie das medizinisch eingrenzen können? Ist den Eheleuten Pilhar auch eine Zeitspanne gesagt worden, die sie noch Zeit haben, sich die Sache zu überlegen?
Zeuge: Es ist eine ganz konkrete Zeitspanne von zunächst zwei Tagen von mir angegeben worden, um wieder zu erscheinen und weitere Gespräche zu führen; dies aus Angst davor, daß innerhalb von Wochen der Tumor ein Volumen erreichen kann und dann spontan rupturieren kann; es wurde von mir davon gesprochen, daß diese Gefahr weiterhin steigt. Das ist ein Risiko von Wochen.
Der ER: Die Eheleute Pilhar haben den Standpunkt, in erster Linie wäre es ihnen um die Chemotherapie gegangen. Ist diese Chemotherapie bei diesem Gespräch besprochen worden?
Zeuge: Ja. Ich habe den Eheleuten zunächst das Wirkprinzip der Chemotherapie, die Wirkungsweise erklärt, wie man mit diesen Medikamente erreichen kann, Tumoren wegzubehandeln, daß also das Wachstum der Krebszellen gehemmt wird, daß zum Teil auch ein rascheres Absterben von Krebszellen durch diese Medikamente bewirkt werden kann und daraus sich auch schon die wesentlichsten Nebenwirkungen der Medikamente erklären, weil diese
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Behandlung leider nicht nur auf die entarteten Zellen wirkt, sondern zu einem dosisabhängig unterschiedlichen Ausmaß auch auf normale Körperzellen, vor allem jene, die sich besonders rasch teilen, die sich rasch vermehren müssen. Es resultiert also als wichtigste Nebenwirkung eine Unterdrückung der Körperabwehr, weil die weißen Blutzellen, die sich fast täglich erneuern müssen, dies nicht können unter dieser Behandlung, die ja Zellwachstum, Zellvermehrung verhindert. Das ist für uns ein Standardaufklärungsgespräch. Das ist die Nebenwirkung, die unmittelbar mit der Wirkung verknüpft ist, deshalb eigentlich auch gar nicht Nebenwirkung genannt werden sollte. Damit ist sicher zu rechnen, daß eine mäßige Beeinträchtigung der Abwehr auftreten wird. Das gilt besonders für die Behandlung von Wilmstumoren, daß selbst diese Nebenwirkung relativ geringfügig ist, weil die Dosierung, die notwendig ist, um vor einer Operation chemotherapeutisch zu behandeln, relativ gering ist. Genauso habe ich es den Eltern erzählt. Das ist eigentlich ein standardisiertes Gespräch, das aber auf der anderen Seite von der Form her nicht so routinemäßig gesagt wird, daß man meinen könnte, das wird nicht gehört.
Der ER: Hatten Sie den Eindruck, daß die Eltern Pilhar verstanden haben, was Sie ihnen gesagt haben?
Zeuge: Ja, absolut.
Der ER: Welche Argumente in Richtung Chemotherapie sind Ihnen entgegengehalten worden?
Zeuge: Da war die Befürchtung, daß das Kind die Medikamente generell nicht vertragen würde. Sie hätten das Gefühl, daß das für ihr Kind unmöglich der richtige Weg sein könnte. Diese Medikamente könnte das Kind nicht aushalten. Das waren die Argumente.
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Der ER: Was heißt " nicht aushalten"?
Zeuge: Ich habe dem nur entgegnet, daß wir sehr viele Kinder mit einer relativ milden Form der Chemotherapie behandeln und daß hier kein Grund zur Befürchtung bestehe, daß eine wesentliche Bedrohung für das Kind entstände. Theoretisch können diese Medikamente natürlich schon Nebenwirkungen haben, die unter Umständen sogar lebensbedrohlich werden können. Das muß ich dazusagen. Das ist diesen Medikamenten schon zu eigen, allerdings im speziellen Fall ganz, ganz unwahrscheinlich. Das ist auch von mir so gesagt worden.
Der ER: Haben Sie zu dem Zeitpunkt schon auf alle Fälle eine, wenn auch milde, Chemotherapie am Anfang besprochen? Es ist ja auch im Raum gestanden, nur und gleich zu operieren.
Zeuge: Auch das ist angesprochen worden. Es ist angesprochen worden, daß wir dieses Konzept momentan als Standardkonzept verfolgen, daß wir zunächst Chemotherapie machen mit dem Ziel - was auch vom Vater genau hinterfragt worden ist und ihm erklärt worden ist - den Tumor zunächst zu verkleinern; das hat den Vorteil, daß der Tumor möglicherweise bei der Operation nicht platzt, operieren muß man sowieso. Auf der anderen Seite ist damit vielleicht sogar möglich, die Niere als tumortragendes Organ zu erhalten, wenn der Tumor noch kleiner wird. Ich habe aber zugestanden, daß man, wenn so große Bedenken bestehen, so eine Behandlung beim Kind durchfuhren zu lassen, selbstverständlich auch primär eine Operation machen kann und nachher sozusagen weiterreden kann, wenn die Eltern Probleme mit der Diagnostik des Tumors haben. Wir haben ja keine Gewebsprobe entnommen, sondern ja nur anhand der Bildgebung eine höchstwahrscheinliche Diagnose gestellt.
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Nach unseren Regeln erlaubt uns das, so einen Tumor auch zu behandeln. Weil wir verstehen, daß man selbstverständlich mit diesem Vorgehen Probleme haben kann, habe ich natürlich auch angeboten, den Tumor primär zu operieren.
Der ER: Herr Pilhar hat geschildert, daß das, was er über das Wochenende im Krankenhaus gesehen hat, für ihn sehr erschütterlich war. Er konnte im Zimmer ein schwerkrankes Kind beobachten; er hat das auf die Behandlung mit Chemotherapie zurückgeführt. Ist so etwas zwischen Ihnen beiden bei diesem Gespräch zur Sprache gekommen?
Zeuge: Es ist möglich, daß er es erwähnt hat, aber ich habe auch betont, daß er die spezielle Behandlung, die für sein Kind vorgesehen ist, damit nicht vergleichen soll. Das ist angesprochen worden.
Der StA: keine Fragen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wieviel Zeit ist für dieses Aufklärungsgespräch zur Verfügung gestanden?
Zeuge: Von meiner Warte aus ist unbegrenzt Zeit zur Verfügung gestanden. Ich bin unter keinem Zeitdruck gestanden, weil wir routinemäßig für solche Gespräche ein open end haben. Ich habe mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die Eltern zu überzeugen, daß sie im Guten hierbleiben oder im Guten wiederkommen. Zwischendurch habe ich den Vater gebeten, daß er ein Telefonat mit einer Ärztin seines Vertrauens führen soll, um ihn zu überzeugen, daß wir nicht gegeneinander arbeiten wollen, sondern daß wir das beste für das Kind herausholen wollen. Das Ganze hat wahrscheinlich ca. eineinhalb Stunden gedauert, schätze ich. Ich weiß es aber nicht mehr genau.
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Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar sagt, daß zunächst von Ihnen ein Ärztegespräch in Aussicht gestellt wurde, dann sind Sie gekommen und haben gesagt, man muß die Chemotherapie sofort beginnen, und erst, als Herr Pilhar dann das Gespräch eingefordert hat, waren Sie bereit, sich mit ihm zusammenzusetzen. Wie ist da Ihre Erinnerung?
Zeuge: Das ist nicht völlig widersprüchlich, und zwar insofern, als ich am Nachmittag mit dem endgültigen Ergebnis dieser kernspintomographischen Untersuchung ins Zimmer gekommen bin und gemeint habe, man könne, wenn die Eltern einverstanden wären, mit der Behandlung beginnen. Daraufhin haben die Eltern gesagt, das wäre nicht möglich, ohne daß dieses angekündigte Erstgespräch geführt worden wäre. Tatsächlich haben wir uns dann nach hinten gesetzt und ich habe das den Eltern sehr genau erklärt.
Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar sagt, Sie hätten dann zugestanden, einen Fehler gemacht zu haben. Sie hätten gesagt, Sie sehen das ein, Sie hätten vorher reden müssen. Dann hätten Sie sich mit ihm hingesetzt.
Zeuge: Das kann sicher so nicht gewesen sein. Das kann sich höchstens darauf bezogen haben, daß ich die Diagnose und das Angebot der Behandlung gemacht habe, bevor ich mich hingesetzt habe und diese lange Erläuterung gegeben habe. Sehr oft kommt es ja vor, daß Eltern primär das Vertrauen haben und einverstanden sind und man das parallel machen kann. Keinesfalls wollte ich die Eltern überfahren mit irgendeiner Art der Behandlung. Wir haben uns ja dann auch sofort nach hinten gesetzt, ohne daß ich mich irgendwie unter Druck gesetzt gefühlt hätte. Für
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mich ist das Aufklärungsgespräch eine Selbstverständlichkeit.
Verteidiger Mag. Rebasso: Allgemein ist bekannt, daß das durchaus in Krankenhäusern ein Problem ist. Am 29.08.1995 gab es aus Anlaß dieses Falles ein Interview mit Dr. Stacher im Fernsehen. Frau Brigitte Xander hat ihn gefragt: "Die Schulmedizin hat Vertrauen eingebüßt. Was kann man dagegen tun?" Er hat darauf gesagt: "Es muß ein Kommunikationstraining stattfinden und bei den Ärzten eine diesbezügliche Schulung erfolgen, da die Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung dafür nicht geschult werden." War das wirklich so, wie Sie uns das jetzt geschildert haben?
Zeuge: Ja.
Verteidiger Dr. Schefer: Würde ein Geschehen an der Leber den Einsatz von Chemotherapie kontraindizieren?
Zeuge: Das kann man so grob sicher nicht sagen.
Der ER: Ist davon die Rede gewesen bei diesem Gespräch, daß auch die Leber betroffen ist?
Zeuge: Das war eine ganz detailliert Frage, die ganze genau mit dem Vater besprochen worden ist, der das ja auch genau verstanden hat als Techniker.
Der ER: Also ist über die Leber und die Chemotherapie gesprochen worden?
Zeuge: Das hat sich primär überhaupt nicht auf die Chemotherapie bezogen. Dieser Wilmstumor, der auf der rechten Seite gesessen ist, ist in die Höhe gewachsen und hat sich kugelförmig in die Leber hineingedrückt. Es hat Schnittbilduntersuchungen der Lunge gegeben. Da war auf unteren Schichten nur Leber drauf und noch nicht Niere. Das hat den Eindruck erweckt, als sei hier etwas in der Leber.
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Das war aber der originäre singuläre Tumor, der sich nur in die Leber hineingedrückt hat. Das war auch der Grund, warum an diesem Vormittag noch diese zusätzliche Untersuchung, diese Kernspintomographie gemacht wurde. Genau das habe ich auch dem Vater erklärt und bereut, daß wir nicht schon früher reden konnten, weil sie noch einmal unterwegs waren für diese Bildgebung. Ich habe erklärt, daß hier kein originärer Lebertumor besteht, sondern daß es tatsächlich Gott sei Dank nur so ist, daß ein Tumor der Niere hinaufwächst, sich in die Leber hineindrückt und wenn man nun ein Schichtbild der Leber macht, kann es so aussehen.
Der ER: Ist eine Chemotherapie bei einer Leberschädigung vorgesehen, nicht vorgesehen oder kontraindiziert?
Zeuge: Generell kann man die Frage so nicht beantworten. Es kommt auf die Form und Intensität der Chemotherapie, die Auswahl der Medikamente an. Es gibt selbstverständlich bösartige Erkrankungen, die man behandeln kann, selbst wenn die Funktion der Leber - und darum geht es vom fachlichen her - beeinträchtigt ist; selbst dann gibt es in der Regel Möglichkeiten, chemotherapeutisch zu behandeln, die unter Umständen eingeschränkt sind.
Verteidiger Dr. Schefer: Wie groß war der Wilmstumor, als Sie diese Erscheinungen auf der Leber feststellen konnten?
Zeuge: Ich schätze, 4 x 5 cm ungefähr.
Verteidiger Dr. Schefer: Bei dieser Größe war es möglich, daß er bereits in dieser Weise auf die Leber einwirkt, daß eine solche Erscheinung stattfindet?
Zeuge: Ja, das ist bei Tumoren des oberen Nierenpols möglich. Der Tumor ist gegen die Leber verschieblich und von der Niere ausgehend. Das war die
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wichtigste Frage, die ich an diesem Vormittag klären wollte. Für mich war schon klar, daß das kein Lebertumor ist. Das haben wir von anderen bildgebenden Untersuchungen ohnehin schon gewußt. Ich habe nur diesen Kernspintomographietermin an diesem Vormittag stehen lassen, um die Verschieblichkeit des Tumors, die Abgrenzbarkeit zu beurteilen. Ich habe das auch dem Vater erklärt, der das damals verstanden hat, daß es, wenn man später ohnehin operieren muß, wichtige Frage sein kann, ob der Tumor sich gut abgrenzen läßt oder ob man theoretisch eine Verletzung der Leber bei der endgültigen Operation mit in Kauf nehmen muß, weil der Nierentumor dort hineinwächst.
Verteidiger Dr. Schefer: Das war um den 22.05.1995. Zu diesem Zeitpunkt war Ihnen klar, daß ein Krebs an der Leber nicht vorlag?
Zeuge: Das ist richtig. Nach allen unseren bildgebenden Methoden war das völlig ausgeschlossen.
Erstbeschuldigter: Wir sind am Donnerstag Abend ins St.Anna-Kinderspital gekommen. Es hat dann ein Gespräch mit einer Ärztin am Freitag Vormittag stattgefunden. Dabei wurde uns erklärt, daß dieser Fleck in der Leber noch nicht zu interpretieren sei. Sie haben diesen dann als Wilmstumor, der in die Leber drückt, interpretieren können?
Zeuge: Ja. Ich habe versucht, Ihnen das an diesem Nachmittag zu erklären. Ich bin mit den Bildern zu Ihnen gekommen.
Erstbeschuldigter: Wir haben im Krankenhaus Wr. Neustadt CT´s aufnehmen lassen. Am Freitag mußten wir noch einmal CT´s aufnehmen und am Montag nochmals Bilder aufnehmen. Im Prinzip ist die Serie, die in Wr. Neustadt aufgenommen worden ist, in Wien noch
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einmal aufgenommen worden mit der Bemerkung, daß die in Wr. Neustadt nicht so genau wären. Stimmt das?
Zeuge: Das kann ich so nicht sagen. Von mir kam diese Bemerkung nicht.
EB: Warum sind dieselben CT´s noch einmal aufgenommen worden?
Zeuge: Das waren nicht dieselben. Auch das habe ich Ihnen damals zu erklären versucht. Es gehört zur Routinevoruntersuchung, daß man die Lunge mit CT untersucht. Das war, soviel ich mich erinnere, nicht vorhanden. Es war ein Abdomen-CT vorhanden, also eine Computertomographie des Bauches. Auf dieser Computertomographie war die Diagnose eigentlich schon höchstwahrscheinlich. Das hat bereits Prim. Jürgenssen veranlaßt, der ja auch Onkologe ist. Er hat gesagt, er schickt ein Kind mit einem Wilmstumor nach St.Anna. Die Untersuchungen, die zunächst bei uns gemacht worden sind, waren ein Ultraschall, der selbstverständlich noch einmal gemacht werden muß, weil es da auf den Untersucher ankommt, wie das gemacht wird. Weiters wurde eine Computertomographie der Lunge gemacht. Diese war so geschichtet, daß sie unterhalb der Lunge aufgehört hat. Die untersten Schichten sind schon durch die Leber gegangen. Damit war die Untersuchungsserie zu Ende. Wer die Lungenbilder gesehen hat, hat gemeint, das könne ein Lebertumor sein, weil er halt keine ausreichenden Informationen gehabt hat. Das war eine rein theoretische Vermutung, die dazu Anlaß gegeben hat, auch noch eine kernspintomographische Untersuchung der Leber zu veranlassen. Das ist mir an dem Montag in der Früh bekanntgeworden. Ich sagte, diese Untersuchung machen wir jetzt nicht mit der Frage nach einem Lebertumor, sondern nach der Frage, wie sich der Wilmstumor zur Leber wirklich
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verhält. Deswegen ist diese dritte Untersuchung erfolgt, die ich nicht mehr abgebrochen habe.
EB: Sie haben mehrmals davon gesprochen, daß Ihre Diagnose auf wahrscheinlich nur Wilmstumor gelautet hat. Sie haben aber auch mehrmals davon gesprochen, daß Olivia bei Nichtbehandlung sterben muß.
Zeuge: Das ist eine 100%ige Prognose.
EB: Sie sagen, wahrscheinlich Wilmstumor und verabreichen die Chemotherapie. Wieso wissen Sie, daß, wenn die Behandlung nicht erfolgt, das Kind sterben muß? Gibt es eine Vergleichsstudie, können Sie diese nennen, die vorweist, was mit Kindern mit Wilmstumor passiert, wenn man sie nicht chemotherapeutisch behandelt und sie vielleicht auch nicht operiert?
Zeuge: Das war übrigens auch Inhalt unseres ersten Gespräches. Ich habe gesagt, ich kann keine historischen Zahlen nennen, aber es ist bekannt, daß mit Operation allein theoretisch 20 bis 30% Überleben erreicht werden kann, daß das aber heute klassischerweise niemand mehr tun würde, weil die Prognose um so viel besser ist, wenn man kombiniert vorgeht. Ich habe Ihnen damals auch erklärt, die ersten Erfolge sind mit der Bestrahlung erreicht worden, und zwar mit Operation und Bestrahlung ohne Chemotherapie. Um den Kindern so wenig wie möglich zu schaden, d.h. Bestrahlung einzusparen, die ja schon an die 80% Überleben gebracht hat, hat man begonnen, die Bestrahlung zum Teil durch Chemotherapie zu ersetzen.
Verteidiger Dr. Schefer: Woher wissen Sie, daß bei Nichtbehandlung mit Sicherheit der Tod eintritt?
Zeuge: Ich persönlich weiß es nicht mehr aus eigener Erfahrung. Seitdem ich so tätig bin, werden alle Kinder behandelt. Das gibt es nur in diesem historischen
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Vergleich. Ich weiß das aus der Vergangenheit, daß früher alle gestorben sind.
Es gibt einen Krebs bei Kindern, den man nicht behandeln muß. Das ist ein ganz anderer Tumor, der bei Säuglingen - und auch das ist aus der Vergangenheit bekannt - sozusagen von selber verschwinden kann. Wir können diese Tumoren mittlerweile sehr genau charakterisieren und würden sie keinesfalls behandeln. Das ist eine andere Diagnose. Man kann nicht sagen, das ist auch irgend etwas im Urogenitaltrakt.
Der StA: Dabei handelt es sich jedoch nicht um Wilmstumor?
Zeuge: Das ist richtig.
Verhandlungsunterbrechung von 10.40 Uhr bis 10.50 Uhr
Verteidiger Mag. Rebasso: Der Zeuge Dr. Mann hat gesagt, er hat damals die Meinung vertreten und geäußert, daß Sie eigentlich bei so krassen Verhältnissen gar kein Recht mehr hätten, etwas zu bestimmen, was die Heilbehandlung des Kindes betrifft. Hat er das in dieser Form gesagt?
EB: Definitiv in diesem Wortlaut nicht; er hat aber sehr wohl erklärt, er müßte dies dann seinem Vorgesetzten Dr. Gadner melden und der würde dann juristische Schritte gegen uns Eltern einleiten.
Verteidiger Mag. Rebasso: Was war letztlich der Grund, warum Sie offenbar auch nach diesem von Dr. Mann geschilderten Aufklärungsgespräch das Vertrauen nicht gewinnen konnten?
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EB: Durch überhasteten Beginn oder gewollten Beginn der Therapie. Wir hatten den Eindruck von Dr. Mann, daß er eigentlich überlastet ist; er hat einen abgearbeiteten Eindruck gemacht; letztendlich sicherlich auch die zu diesem Zeitpunkt widersprechenden Aussagen der Ärzte. Uns hat Dr. Jürgenssen erklärt, es solle eine Operation stattfinden und dann eine Chemotherapie; dann war das Gespräch mit der Ärztin am Freitag Vormittag, welche gesagt hat, es sei etwas an der Leber, die Heilungschancen betragen 70 - 80%. Dr. Mann hat erklärt, es ist eindeutig, wahrscheinlich Wilmstumor, die Heilungschancen betragen 90%. Einerseits dieser Krankenhausbetrieb, wo die Kinder anscheinend alle nach einem Schema behandelt werden, trotzdem wurden uns Eltern aber von den Ärzten unterschiedliche Prognosen erklärt, und letztendlich auch der Einfluß des Arztes selbst, der überarbeitet erschienen ist.