Olivia Pilhar: Strafprozeß gegen Eltern
Zeugin Marcovich
Zeugin Dr. Marina MARCOVICH, geboren 11.05.1952, Ärztin, wh. 1190 Wien, Iglasseegase 45
fremd, gibt nach WE vernommen an:
Der ER: Wie kommen Sie in die Sache hinein? Wie hat es für Sie begonnen?
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Zeugin: Ich bin seit ungefähr 15 Jahren als freie Mitarbeiterin bei der österreichischen Ärzteflugambulanz tätig. In dieser Funktion habe ich einen Anruf von der Flugambulanz bekommen, daß ein Kind aus Spanien zu holen wäre. So bin ich zu der Sache gekommen.
Der ER: Wann und von wem haben Sie das erste Mal über die Problematik erfahren, also worum es geht, warum die Flugambulanz nach Spanien fliegt? Was haben Sie gewußt?
Zeugin: Von der Flugambulanz habe ich nicht viel mehr gewußt, als daß es sich um ein krebskrankes Kind handeln soll, dessen Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Ich weiß das Datum nicht, aber es war an einem Mittwoch Abend, daß wir ursprünglich fliegen wollten. Ich habe eigentlich erst am Flugplatz erfahren, welche Umstände im Hintergrund vorhanden sind, daß offensichtlich noch eine Adresse über andere Kanäle bekannt werden soll, die aber dann nicht bekannt geworden ist; daß Interpol eingeschaltet ist und es ein noch viel größeres Umfeld als nur ein krankes Kind gibt.
Der ER: Sie waren zweimal in Spanien?
Zeugin: Ja; wobei wir an diesem Mittwoch nicht abgeflogen sind, weil die Adresse nicht bekannt geworden ist, sondern erst am Donnerstag Mittag.
Der ER: Wann haben Sie den ersten Kontakt mit den Eheleuten Pilhar gehabt?
Zeugin: Am Donnerstag Nachmittag, im Zuge des ersten Fluges. Wir sind um 12:00 Uhr in Wien abgeflogen und sind dann vom Flughafen zuerst ins Hotel gefahren, wo die Eltern sein sollten. Dort waren sie aber nicht. Wir sind dann zum Gericht gegangen und dort habe ich die Eltern dann erstmals gesehen.
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Der ER: Warum mußten Sie zunächst unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen? Warum wurde nichts aus der Rückholung des Kindes und der Eltern?
Zeugin: Ich muß sagen, ich war mit der ganzen Problematik nicht vertraut und habe eigentlich erst im Zuge der Gespräche bei Gericht am Donnerstag Nachmittag mit dem österreichischen Honorarkonsul, mit dem Ehepaar Pilhar, mit Herrn Dr. Hamer erfahren, was überhaupt dahintersteht und was da los ist. Mein Eindruck war, daß die Eltern in allererster Linie die Rechtssituation in Österreich fürchteten, wo sie über ihr Kind nicht mehr entscheiden dürfen, wo ihnen das Kind weggenommen wird. Da mir von meinem ärztlichen Selbstverständnis her in erster Linie daran gelegen war, daß dem Kind geholfen wird, habe ich gedacht, es muß ja auch in Malaga Kinder geben, die an Wilmstumor erkranken und die dort entsprechend behandelt werden. Meine Überlegung war, daß man ja, wenn die Eltern die Rückkehr nach Österreich so sehr scheuen, müßte es doch möglich sein, das Kind in Malaga einer entsprechenden Behandlung zuzuführen. Auch in Spanien gibt es Universitätskliniken. Zu diesem Zeitpunkt war mir die ganze Rechtssituation der Entmündigung usw. auch noch nicht so klar. Ich habe das nicht aus dieser Sicht gesehen, sondern rein medizinisch. Aus diesem Grund habe ich dann von Malaga aus Prof. Dr. Gadner angerufen und habe ihn gefragt, ob er nicht in Spanien einen Kollegen hat, mit dem er entsprechend kooperiert, so daß man sozusagen die Behandlung des Kindes von Spanien aus in die Wege leiten könnte. Er hat dann einen Namen genannt in Malaga am Spital und hat gemeint, daß wäre ein Kollege, mit dem er sich absolut versteht, mit dem er auch gemeinsam arbeitet. Daher
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war die primäre Absicht eigentlich, das Kind in Spanien in die Behandlung des örtlichen Spitals zu überstellen, was laut Prof. Gadner eine medizinisch durchaus vertretbare Lösung gewesen wäre. Wir haben dann mit dem Spital Kontakt aufgenommen und waren noch am selben Abend mit der Familie, Dr. Hamer und dem österreichischen Honorarkonsul dort. Es hat sich dort aber entgegen den ursprünglichen Zusagen, daß es dort einen Arzt gibt, der sich sofort darum kümmern würde, herausgestellt, daß dieser auf Urlaub war. Es hat auf jeden Fall geheißen, wir sollen am nächsten Tag in der Früh um 10:00 Uhr wieder kommen. Ich habe damals, da ja die Obsorge von rechtlicher Seite dem österreichischen Honorarkonsul übertragen war, das Gefühl gehabt, daß ich nicht mehr viel dazu beitragen kann; die Anbindung an die Klinik in Malaga war gelungen, die Eltern haben zugesagt, diesen Weg zu gehen. Deswegen war eigentlich meine Absicht, am Donnerstag Abend zurückzufliegen. Als wir dann am Flughafen waren ungefähr um 22:00 Uhr, habe ich mir gedacht, daß das eigentlich dem Honorarkonsul gegenüber nicht ganz korrekt ist; ich habe ihm irgendwie die ganze Verantwortung überlassen; was wäre, wenn die Eltern am nächsten Tag nicht mit dem Kind kommen, obwohl ich eigentlich davon überzeugt war, daß sie das tun würden. Ich habe mir gedacht, vielleicht ist es doch in irgendeiner Form noch gut, wenn ich dableibe. So haben wir uns entschlossen, in Malaga zu übernachten. Ich habe dann um 7:00 Uhr früh noch einmal mit Prof. Gadner gesprochen und habe mit dem österreichischen Honorarkonsul telefoniert. Er war sehr froh, daß wir dageblieben sind und daß er nicht allein mit der ganzen Sache dagestanden ist. Er hat mich dann um 9:30 Uhr beim Hotel abgeholt und wir sind gemeinsam in die Klinik gefahren, wo die Eltern bereits eingetroffen waren, was mich
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sehr gefreut hat. Sie hätten ja in der Zeit auch verschwinden können. Es war für mich von Anfang an klar, ich setze hier Vertrauen gegen Vertrauen. Ich habe überhaupt den Eindruck gehabt, daß die Eltern in dieser Situation massiv unter Druck gestanden sind: nicht nur ein schwerkrankes Kind, sondern auch der ganze Rechtsdruck, der Druck der verfolgenden Reporter. Das war dort eine wirklich fürchterliche Situation. Ich habe mich sehr gefreut, daß sie gekommen sind, weil mir das irgendwie gezeigt hat, wenn man ihnen Freiraum läßt, zu atmen und mit ihnen auf einer normalen Basis verkehrt, dann geht das auch von beiden Seiten. Ich muß sagen, es war für mich dann eine sehr große Enttäuschung im Spital in Malaga, daß die Verhaltensweise der Ärzte dort wieder genauso war, wie ich verstanden habe, weswegen die Eltern aus dieser Art medizinischer Umgangsweise geflüchtet sind. Das sind Kleinigkeiten. Letzten Endes muß man bedenken, daß der Patient die Qualität einer Therapie nie wirklich beurteilen kann. Das kann nicht einmal ich. Wenn mir heute ein Orthopäde sagt, meine Bandscheibe gehört operiert, kann ich ihm auch nur glauben. Was der Patient sehr wohl beurteilen kann, ist die Art, wie ihm jemand als Mensch begegnet. Es ist die Frage, ob er Vertrauen zu demjenigen entwickelt oder nicht. Das sind oft Kleinigkeiten. Ich erinnere mich z.B., daß Olivia untersucht worden ist. Sie ist ja kein Säugling mehr, sondern ein Kind, das auch schon ein Schamgefühl hat. Ich werde nie vergessen, wie dieser untersuchende Arzt, um offenbar die Lymphknoten in der Leistenbeuge zu tasten, ihr die Unterhose heruntergezogen hat. Er hat da mit einer Hand so angerissen. Ich denke, daß das Dinge sind, die eine Mutter viel mehr berühren als die Frage irgendwelchen Medikamente, weil sie einfach Ausdruck der menschlichen Haltung sind, die dahintersteht. Ich habe länger mit dem
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Honorarkonsul gemeinsam mit den verantwortlichen Ärzten gesprochen. Ich habe einfach den Eindruck gehabt, daß dort an der Klinik eine Situation war, mit der sich die Eltern nicht wirklich positiv abgefunden haben. Daraufhin habe ich mit Prof. Gadner telefoniert und ihm das geschildert und habe gesagt, wenn die Eltern nicht nach Österreich zurückwollen und man das Ganze hier in Malaga behandeln möchte, glaube ich, daß es einfach gut wäre, daß jemand hier ist, dem die Eltern vertrauen und der die Anbindung an die spanischen Kollegen in positiver Weise machen kann. Ich habe ihn gebeten, ob er nicht nach Spanien kommen würde. Ich habe den Eltern Prof. Gadner als einen Mensch vorgestellt und empfinde das persönlich auch so, mit dem man sehr wohl reden kann und der auch eine Sensibilität im Umgang mit Menschen hat. Deswegen war meine Hoffnung immer, wenn Prof. Gadner mit den Eltern ein positives Verhältnis aufbauen kann, gelingt es vielleicht auch, sie medizinisch in eine Betreuung zu bringen, mit der das Kind positiv behandelt wird. Ich habe dann mit Prof. Gadner telefoniert und er hat das zugesagt. Ich bin daraufhin nach Österreich zurückgeflogen. Das war am Freitag Nachmittag. Die Absicht war, daß ich mit Prof. Gadner gemeinsam kommen werde. In dieser Zeit in Österreich, Samstag und Sonntag bis abends, habe ich mich mit Prof. Gadner sehr lange unterhalten. Ich habe aus seinen Informationen mittlerweile viel besser verstanden, warum die Eltern weggegangen sind. Es war eigentlich auch eine Aufeinanderfolge von unglücklichen Umständen, wie es halt im Leben ist, die dann dazu geführt hat, daß die Eltern am Montag Vormittag gesagt haben, sie gehen weg aus dem Spital. Ich habe das von Prof. Gadner auch so verstanden, daß er das bei Eltern kennt, die sich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, ein krebskrankes
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Kind zu haben, daß diese sozusagen im ersten Schrecken wieder weglaufen, dann aber, wenn sich alles wieder beruhigt hat, wieder kommen.
Der ER: Warum sind Sie sozusagen unverrichteter Dinge zurückgeflogen, oder war das nicht unverrichteter Dinge?
Zeugin: Für mich war es nicht unverrichteter Dinge. Ich hatte den Eindruck, es ist jetzt mit der Klinik in Malaga im Einvernehmen mit Prof. Gadner alles geregelt. Was sollte ich daher noch tun? Ich bin keine Onkologin.
Der ER: Warum ist es zum zweiten Flug gekommen?
Zeugin: Ich hatte ursprünglich die Absicht, mit Prof. Gadner hinunterzufliegen. Er hat gesagt, er kann erst am Montag. Er sollte mit den Eltern einmal ein Gespräch führen und dann entscheiden, ob er versucht, sie mit den Kollegen in Malaga in eine positive Verbindung zu bringen oder ob sie doch mit ihm gemeinsam heraufkommen möchten und die Therapie hier durchführen lassen Am Samstag in der Nacht hat mich erstmals Dr. Hamer angerufen. Es waren viele Telefongespräche. Er hat dann immer häufiger angerufen im Laufe des Sonntags. Es waren dann im ganzen vier oder fünf Telefonate in kürzeren Abständen. Ich hatte den Eindruck, daß er es letzten Endes auch für besser befindet, wenn das Kind nach Österreich zurückgebracht wird und die Familie hier, ohne diese schreckliche Situation in Spanien, sein kann. Das war der Grund, warum ich dann nicht, wie ursprünglich geplant, am Montag in der Früh mit Prof. Gadner hinuntergeflogen bin, sondern Sonntag in der Nacht, wo ich den Eindruck hatte, daß die Eltern und Dr. Hamer jetzt bereit seien, zurückzukommen. Ich bin dann hinuntergeflogen und
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habe sie allein geholt. Das war in der Nacht von Sonntag auf Montag.
Der ER: Waren sie gleich dazu bereit? Ein bißchen etwas hat es dann auch noch gegeben, bis es soweit war, daß Sie zurückfliegen konnten, soweit ich es aus dem Akt ersehe.
Zeugin: Sie meinen vielleicht dieses Schriftstück, das Dr. Hamer mitgebracht hat. Von den Eltern hatte ich nicht den Eindruck. Das Gepäck war da, die Kinder waren mit. Für mich bestand kein Zweifel daran, daß wir gemeinsam zurückfliegen. Es war nur so, daß Dr. Hamer mir dann ein Schriftstück vorgelegt hat, an dessen Inhalt ich mich nicht mehr ganz erinnere. Ich glaube, daß darin gestanden ist, daß Dr. Stangl aus Tulln und Frau Dr. Rozkydal die weitere Behandlung des Kindes in Wien übernehmen sollten. Ich habe daraufhin hingeschrieben, daß der verantwortliche Arzt zum damaligen Zeitpunkt in meinen Augen Prof. Gadner war und daß ich sie nicht zu Dr. Rozkydal und Dr. Stangl zurückbringe, sondern zu Prof. Gadner, womit meine medizinische Verantwortlichkeit wieder geendet hätte, weil ich ja nur als Flugarzt eingeschaltet war.
Der ER: Warum haben Sie das Schriftstück unterschrieben?
Zeugin: Ich kann mich an dieses Schriftstück nicht mehr vollinhaltlich erinnern. Für mich war der springende Punkt die Verantwortlichkeit von Prof. Gadner.
Der ER: Haben Sie etwas davon mitbekommen, ob die Eheleute Pilhar in Spanien aufgrund eines Haftbefehles verhaftet worden sind?
Zeugin: Nein. Ich habe nur gesehen, daß sie bei Gericht sind und habe mir gedacht, das ist eigentlich nicht
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der Aufenthaltsort für so ein krankes Kind, sich dort stehend aufzuhalten.
Der ER: Daß ein Gericht involviert ist, haben Sie schon gesehen?
Zeugin: Ich habe auch mitgekriegt, daß das Sorgerecht zu diesem Zeitpunkt dem Honorarkonsul von Österreich übertragen war.
Der ER: Wieso glauben Sie, daß das Sorgerecht beim Honorarkonsul war?
Zeugin: Weil es den Eltern entzogen war. Der Honorarkonsul hat mir mitgeteilt, daß er die Obsorge für das Kind hat. Er erschien mir mit dieser Situation ziemlich überfordert. Er ist nicht mehr der Jüngste. Ich habe ihn primär gesehen, als er unheimlich hektisch aus dem Gericht herausgelaufen ist. Ich wußte gar nicht, wer das ist; ein älterer Herr mit bösem Gesicht. Ich habe dann festgestellt, daß er nur ein böses Gesicht gemacht hat, weil er in diesem ganzen Hexenkessel offenbar sich nicht sehr wohl gefühlt hat. Das ist ein ganz lieber und feiner Mensch, wie ich dann festgestellt habe. Primär war die Frage, packen wir jetzt das Kind oder eventuell auch die Eltern und verführen wir es zwangsweise zurück nach Österreich. Das erschien sowohl ihm als auch vor allem mir, die ich auf dem Flug die Verantwortung für das Kind gehabt hätte, als fast nicht durchführbar. Es hätte ja nur die Möglichkeit gegeben, hier einen Gewaltakt zu setzen und das Kind einfach allein zu nehmen, die Eltern festzusetzen, oder die Mutter unter dem Blickwinkel, daß ein krankes Kind seine Mutter in der Nähe braucht, mitzunehmen und in Handschellen in den Flieger zu setzen, dann kommt es zu irgendeinem Handgemenge an Bord; mir erschien eine harmonische Lösung vorzuziehen.
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Der ER: Der Honorarkonsul hat Ihnen gesagt, er hätte das Sorgerecht?
Zeugin: Ja.
Der ER: Sie haben gemeint, er war durch die Situation überfordert?
Zeugin: Ich will ihm nichts unterstellen, aber glücklich war er damit sicher nicht.
Der ER: Tatsächlich war die Situation so, daß natürlich ein Gerichtsbeschluß aus Österreich vom zuständigen Pflegschaftsgericht da war, daß den Eltern das Sorgerecht entzogen worden ist. Haben Sie jemals während Ihres Aufenthaltes oder in Gesprächen mit den Eheleuten Pilhar von diesem Pflegschaftsbeschluß etwas erfahren?
Zeugin: Nur in der Form, daß mir der Honorarkonsul gesagt hat, er hätte eigentlich die Pflicht, das Kind zu sich nach Hause zu nehmen. Er meinte: "Wie soll ich denn das machen?" Ich habe von ihm erfahren, daß den Eltern offenbar das Sorgerecht entzogen ist und er damit betraut wurde.
Der ER: Von wem das Sorgerecht entzogen wurde, hat er nicht gesagt? Haben Sie sich auch nicht erkundigt, wie der Lauf der Dinge war?
Zeugin: Nein. Das waren ehrlich gesagt auch keine Dinge, die mich sehr interessiert haben.
Der ER: Die Eheleute Pilhar sagen, es wären ihnen in diesem Zusammenhang Versprechungen gemacht worden, insbesondere im Namen des österreichischen Staates, wenn sie mit dem Kind zurückkämen, wäre es damit erledigt und sie hätten von Behörden, Gerichten usw. nichts böses mehr zu erwarten. Können Sie aus Ihrer Wahrnehmung dazu etwas sagen?
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Zeugin: Nein, eigentlich nicht.
Der ER: Sie sind nach Ihrer Rückkehr nach Österreich auch in die Situation im Krankenhaus Tulln einbezogen worden. Warum?
Zeugin: Bis Donnerstag Mittag.
Der ER: Wie sind Sie in diese Situation gekommen?
Zeugin: Nachdem wir das Kind nach Österreich zurückgebracht hatten und die Eltern Kontakt mit Prof. Gadner am Flughafen hatten, ist nicht dieses positive Verhältnis zwischen den Eltern und Prof. Gadner zustandegekommen, das ich mir gewünscht hätte und auf das ich gehofft habe. Es war dann die Frage, was weiter geschieht. Dann war in Anwesenheit von Dr. Zimper der Entschluß, die Eltern einmal nach Hause fahren zu lassen, damit sie sich von der Reise frisch machen und ein bißchen erholen können. Dann war die Frage, was jetzt geschehen soll. Ich weiß nicht, von wem der Vorschlag gekommen ist, das Kind ins Krankenhaus Tulln zu bringen, aber als ich von diesem Vorschlag gehört habe, erschien er mir gut, weil ich Prim. Vanura immer als einen dem Patienten zugewandten und mit Menschen gut umgehenden Primarius gekannt habe und mir daher gedacht habe, Spital ist Spital, Hauptsache, die Familie findet einen Ort, wo sie Vertrauen fassen kann und sich mit dem Kind gut aufgehoben fühlt.
Der ER: Haben Sie eine bestimmte Position bei dieser Sache gehabt?
Zeugin: Nein, überhaupt nicht. Ich war schon einmal drin. Dadurch, daß ich in Spanien war, habe ich die Eltern gekannt. In dem Moment, wo man mit einem Patienten Berührung bekommt, berührt einen auch sein Schicksal irgendwie. Dann sagt man nicht, geht hin wo ihr wollt.
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Der ER: In welchem gesundheitlichen Zustand war das Kind, als Sie mit ihm nach Österreich zurückgeflogen sind?
Zeugin: Sicher in einem schlechten, geschwächten Zustand, obwohl ich Olivia auch heute noch dafür bewundern muß, wie sie unter diesen Umständen immer noch durchgehalten hat; sie war nicht in einem akut lebensbedrohenden Zustand, sonst hätten wir intensivmedizinisch etwas tun müssen, aber sicherlich in einem sehr schlechten und geschwächten Zustand.
Der ER: Nach Vorhalt Seite 2 des Protokolls des Pflegschaftsgerichtes vom 28.7.1995 im Krankenhaus Tulln, AS 227/Band VII, in welchem Prim. Vanura als Auskunftsperson vernommen über den Zustand des Kindes folgendes angibt: "Bei der Durchuntersuchung ergaben sich im wesentlichen relativ normale Blutbefunde, ausgenommen einer massiven schweren Tumoranämie... Die Computertomographie ergab im Schädel und im Thoraxraum keine meßbaren oder erkennbaren Metastasierungen des großen Bauchraumes. Der Bauchtumor füllt im wesentlichen das Abdomen fast völlig (derzeit ausgerechnet etwa 4200 ml Volumen), die Atmung des Kindes ist stark behindert, der Zwerchfellhochstand auch an der Computertomographie deutlich erkennbar. Das Kind leidet offensichtlich starke Schmerzen, wimmert zeitweise vor sich hin und kriegt Schmerzmittel." Entspricht dies auch Ihrer Erinnerung, wenn Sie sich an den äußerlich erkennbaren, also auch für die Eltern und den Laien erkennbaren Zustand des Kindes in dem Zeitpunkt erinnern?
Zeugin: So entspricht das den Tatsachen. Es war sicher durch den Zwerchfellhochstand die Atmung
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behindert; nicht in dem Sinn, daß man hätte sagen können, es wird bedrohlich und sie hätte bereits unter Sauerstoffmangel gelitten, aber es war sicher so, daß sie sich eher eine Position gewählt hat, in der sie möglichst gut Luft gekriegt hat. Ich muß aber andererseits sagen, ich bin am Samstag, bevor sie ans AKH transferiert wurde, noch an ihrem Bett gesessen. Ich erinnere mich, daß sie damals ein Marmeladekipferl gegessen hat. Man muß sich das schon so vorstellen, daß das Kind natürlich von so einem Riesentumor im Bauch beeinträchtigt war, aber daß es doch absolut in der Lage war, wenn auch teilweise unter Schmerzen. Mir kommt vor, der Schmerzzustand war wechselnd und auch abhängig von der Bewegung und der Belastung. Wenn sie sich in ihrer Lage irgendwie verändert hat, hat es eher wehgetan als wenn sie ruhig gelegen ist.
Der ER: Nach Vorhalt AS 227/229: "Das Kind kann schlecht essen, einige Schluck Suppe, dann wieder Erbrechen. Das Kind liegt fast immer relativ unbeweglich in Rechts-Schräg-Lage, das Gehen auf die Toilette ist für sie offenbar eine Tortur. In der derzeitigen Situation muß man sagen, daß das Kind massiv geschwächt, stark beeinträchtigt ... ist." Ist das in etwa der Zustand, den Sie auch bestätigen können?
Zeugin: Ich würde es nicht ganz so kraß sehen.
Der ER: War es für jeden Laien erkennbar, daß das Kind aber schwer krank war? Ist das auch Ihr Eindruck?
Zeugin: Ja. Schon von der Art der Bewegung her und dieser Nach-innen-Wendung des Kindes. Sie hat kaum mit uns kommuniziert. Das war wahrscheinlich ihre einzige Chance, diese Situation durchzustehen.
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Sachverständiger Dr. Scheithauer: keine Fragen.
Der StA: keine Fragen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, daß in den Krankenhäusern fallweise der menschliche Umgang mit den Patienten ein bißchen zu vermissen wäre. Kommt sowas öfter vor, daß Eltern dann plötzlich das Vertrauen verlieren und dann nicht recht wissen, wie sie weitermachen sollen?
Zeugin: Ich denke schon.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wie ist Ihre Erfahrung?
Zeugin: Bei uns an der Intensivstation ist es Gott sei Dank nicht vorgekommen. Ich kann daher aus meiner persönlichen Erfahrung sowas nicht bestätigen, aber ich habe fast 20 Jahre lang in einem Krankenhaus gearbeitet und weiß, daß es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Eltern kommt und daß hier die Seite, die die Kraft in der Hand hat - und das ist in dem Fall das Spital - natürlich schon sehr dominant reagiert; Druck erzeugt Gegendruck. Wahrscheinlich ist diese Situation auch positiv aufzulösen, aber wenn man einmal anfängt, zu sagen: "Ich bin im Recht und du mußt das annehmen", sehe ich schon ein, daß damit auch die Haltung der Eltern oft mehr dagegen wird als es eigentlich primär der Fall ist.
Verteidiger Mag. Rebasso: War damals in Spanien Dr. Hamer stets vor Ort anwesend?
Zeuge: Ich habe die Eltern ohne ihn nicht gesehen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Kann man sagen, daß er damals der primäre Vertrauensarzt der Eltern war?
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Zeugin: Absolut, ja. Das war auch der Grund, warum ich von vornherein überhaupt nicht versucht habe, einen Keil hineinzutreiben und nur mit den Eltern zu reden und mit ihm nicht. Das war ja für mich auch völlig klar, daß man in einer solchen Situation jemanden braucht, der einem einen Anker bietet. Man muß sich vorstellen, in einem fremden Land mit einem schwerkranken Kind auf der Flucht! Da wäre es in meinen Augen gar nicht legitim gewesen, ihnen einen Menschen, dem sie offensichtlich vertrauen, wegzunehmen, querzutreiben.
Verteidiger Mag. Rebasso: Hatten Sie den Eindruck, daß die Schwierigkeit dieses Falles vielleicht auch besonders von diesem scheinbar offenbar unauflöslichen Konflikt zwischen Dr. Hamer und der Mehrheit der Vertreter der Schulmedizin charakterisiert ist, der letztendlich dahintergestanden ist?
Zeugin: Ja, sicher, natürlich.
Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen in Erinnerung, daß in der Zeit in Spanien, die Sie selbst überblickt haben, irgendwann ein Schriftstück eine Rolle gespielt hat im Zusammenhang mit diesem Obsorgeentzug; daß von jemandem den Eltern ein Schriftstück ausgehändigt worden wäre, wo das drin steht oder daß Sie ein offizielles Schriftstück gesehen haben?
Zeugin: Nein.
Verteidiger Mag. Rebasso: Woher hatte Konsul Esten Ihres Wissens nach seine Information her, daß er jetzt der Obsorgeträger sei?
Zeugin: Da bin ich überfragt.
Verteidiger Mag. Rebasso: Es gab eine Aussage von Frau Pilhar, daß der Konsul ihr das Sorgerecht
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symbolisch wieder rückübertragen hätte. Können Sie sich an so eine Aussage erinnern?
Zeugin: Es war am Donnerstag Abend die Frage, was jetzt zu geschehen hat. Da war die Entscheidung, daß die Eltern am nächsten Tag um 10:00 Uhr mit dem Kind in die Klinik gehen. Da ist das eingetreten, was ich vorhin schon erwähnt habe, daß der Konsul gemeint hat, ob er Olivia jetzt mit sich nach Hause nehmen solle, sie sei doch viel besser bei den Eltern aufgehoben. Nachdem sowohl von ihm als auch von mir absolut der Eindruck bestand, daß mit den Eltern ein Vertrauensverhältnis herrscht und daß sie das, was sie zugesagt haben, einhalten werden, was sie dann auch getan haben, hat der Konsul sich dann entschieden, daß er vorübergehend das Kind wieder den Eltern anvertraut hat. Wir haben uns dann am nächsten Tag um 10:00 Uhr an der Klinik wieder getroffen. Als wir dann am Freitag Abend abgeflogen sind, war dieselbe Situation wieder gegeben, d.h. schon Freitag Mittag, als wir die Klinik verlassen haben; der Konsul hat gemeint, bis ich mit Prof. Gadner zurückkomme und ein Gespräch mit den Eltern stattfindet, ist es gescheiter, daß das Kind bei den Eltern ist.
Verteidiger Mag. Rebasso: Frau Pilhar hat das offenbar so aufgefaßt, daß ihr das Sorgerecht zurückübertragen wurde. War das auch Ihre Auffassung?
Zeugin: Ja. Das hat er auch so formuliert, daß er ihr sozusagen vorübergehend das Sorgerecht zurücküberträgt. Das war am Donnerstag Abend, als die Eltern, nachdem wir die Klinik verlassen hatten, mit dem Kind wieder an ihren Aufenthaltsort, der mir nicht bekannt war, zurückgegangen sind. Sie sind dann am Freitag Vormittag wieder in die Klinik gekommen und wir haben uns dann Freitag Mittag vor der Klinik getrennt. Ich habe die Eltern
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dann am Montag um 5:00 Uhr früh wieder gesehen. D.h., es muß in der Zeit zwischen Donnerstag Abend und Freitag bis 10:00 Uhr und ab Freitag Mittag bis sie dann zurückgekommen sind, gewesen sein.
Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben ausschließlich im Einvernehmen mit dem Konsul Ihre Mission abgewickelt?
Zeugin: Ich war Gott sei Dank mit allen im Einvernehmen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Ich meine, als Repräsentant des Staates.
Zeugin: Ich muß sagen, ich habe das wirklich nie so empfunden, obwohl das nachher vielleicht so gewesen sein hätte sollen. Ich habe das nicht so gesehen, daher habe ich mich auch in diesen ganzen Diskussionen nie als Vertreterin eines Rechtssystems gesehen. Für mich war wichtig, was mit dem kranken Kind geschieht.
Verteidiger Mag. Rebasso: Von seiten der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt war damals in Bezug auf Ihre Intervention niemand eingeschaltet? Sie haben keine Aufträge bekommen von Dr. Zimper oder von der BH?
Zeugin: Nein. Ich habe Dr. Zimper erstmals in meinem Leben, am Samstag am späten Vormittag oder frühen Nachmittag gesehen, nachdem ich das erste Mal aus Spanien zurück war, und habe mich dann den ganzen Nachmittag mit ihm über diese Sache unterhalten und auch daher erst viele Informationen bekommen, die ich vorher nicht hatte.
Am Donnerstag kurz bevor wir abgeflogen sind hat mich der Präsident der österreichischen Ärzteflugambulanz angerufen und mir gesagt, die - und damit war offenbar die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt gemeint - wollen uns noch einen Doktor mitgeben, ob mir das
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etwas machen würde. Ich sagte, mir macht das überhaupt nichts. Vier Augen sehen mehr als zwei und mir ist jeder recht, der mitfliegt. Ich habe dann aus seinen Bemerkungen für mich gedacht, daß es wahrscheinlich so ist, daß ich mit meinem Touch, mit meiner eigenen Geschichte, offenbar für die Behörden nicht so verläßlich aussehe, darum wird mir jemand ordentlicher mitgegeben. Das war Dr. Witt vom St.Anna-Kinderspital. Diesen Eindruck hatte ich.
Verteidiger Mag. Rebasso: Da war Ihnen die BH Wr. Neustadt schon präsent als jemand, der da offenbar involviert ist?
Zeugin: Ja; aber nicht, in welcher Rolle genau. Ich habe das erst in Spanien vom Honorarkonsul gehört. Ich glaube, auch Dr. Witt, der mitgeflogen ist, ist wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Der konnte sich nicht einmal umziehen; er ist um 12:00 Uhr zum Flughafen gelaufen gekommen und hat gesagt, er habe auch von nichts gewußt, plötzlich hätte es geheißen, er soll da mitfliegen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie, wer die Flugambulanz informiert hat und das in Auftrag gegeben hat?
Zeugin: Ich glaube, daß es primär eine Kooperation zwischen der Flugambulanz und dem ORF war. Ich glaube, daß das irgendwie durchgesickert ist. So erschien mir das am Mittwoch Abend; daß jemand, der von der Interpol gesucht wird und wo öffentliches Interesse besteht, aufgefunden worden ist und daß es daher im Interesse der Berichterstattung und der Medien ist, das zu begleiten. Es sollte am Mittwoch Abend ein Journalist des ORF mit uns mitfliegen. Dann ist aber die Adresse nicht bekannt geworden. Es ist aber in den Nachrichten um 22:00 Uhr bekannt geworden, daß wir hinunterfliegen wollten. Ich
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glaube, dadurch hat die Behörde überhaupt erst Kenntnis davon bekommen, daß der Aufenthaltsort bekannt ist, daß wir hinunterfliegen sollen, und ich glaube daher, daß sich dann erst am Donnerstag Vormittag auch die Behörde mit eingeschaltet hat.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn Sie den Konflikt, der zwischen den Eltern und gewissen Teilen der Ärzteschaft bestanden hat, global betrachten, wenn Sie gefragt werden, ob die Eltern gegen alles und jedes waren, wogegen sie waren, wo allenfalls Bereiche waren, wo ein Kompromiß auch von den Eltern möglich war oder ob von den Eltern überhaupt kein Kompromiß möglich war, wie hat sich das aus Ihrer Sicht dargestellt? Wo waren die sensiblen Bereiche und wo bestand Kompromißbereitschaft?
Zeugin: Ich habe über die primäre Situation im St.Anna-Kinderspital ja nur durch die Berichte von Prof. Gadner erfahren. Da habe ich von der ganzen Sache noch nichts gewußt. Prof. Gadner hat mir das so geschildert, daß die Eltern an einem Donnerstag ins St.Anna-Kinderspital gekommen sind, daß an diesem Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag Prof. Gadner, sein Stellvertreter und der stationsführende Oberarzt auf einem Kongreß waren, daß von den jüngeren Kollegen, die im St.Anna-Kinderspital Dienst hatten, Freitag Vormittag die Diagnose gestellt wurde, die später dann bestätigt wurde und richtig war, daß aber die jüngeren Kollegen warten wollten, bis die "Chefs" zurückkommen, bevor sie mit der Therapie beginnen. Das wäre am Montag gewesen. Freitag, Samstag und Sonntag waren die Eltern mit dem Kind dort im Spital, und es hat jeden Tag ein anderer von den jüngeren Kollegen Dienst gehabt und hat sich, so wie es ja sein soll, den Eltern entsprechend zugewandt und mit ihnen länger gesprochen.
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Wenn man mit verschiedenen Menschen spricht, wird man auch immer einen etwas anderen Eindruck von der Situation bekommen. Ich denke, daß Eltern gerade in einer Situation, wo sie mit so etwas konfrontiert werden, daß ihr Kind Krebs hat, natürlich besonders hellhörig sind und schauen, ob da irgendwelche Differenzen in den Aussagen der Kollegen vorhanden sind. Das ist einfach eine ganz schwierige Situation, in der wahrscheinlich auch viel Mißtrauen drin ist, eine negative Haltung dieser ganzen Situation gegenüber. Wer hat schon gern, daß sein Kind Krebs hat. So ist Freitag, Samstag, Sonntag vergangen, und am Montag Vormittag wurde in das Zimmer, in dem sich Olivia mit ihren Eltern befunden hat, ein Mädchen hineingelegt, das schon eine ganz schlimme Therapie hinter sich hatte. Sie hatte Knochenkrebs, alle Haare verloren usw., also ein abschreckendes Beispiel. Daraufhin hätten die Eltern sozusagen ihre Sachen gepackt und hätten gesagt, so soll ihr Kind nicht ausschauen. Es wurde aber vereinbart, daß sie sich bei Prof. Gadner melden; das hätte der Vater auch Montag Nachmittag vereinbarungsgemäß getan. Prof. Gadner hat gesagt, er kennt diese Erscheinung, daß Eltern im ersten Schreck und im ersten Schock einmal aus dem Spital flüchten, dann aber zurückkommen. Er sagt, in dieser Zeit halten sie mit den Eltern einfach Kontakt. Nachdem die Eltern nicht aus Wien waren, sondern aus Niederösterreich, hat er Prim. Jürgenssen gebeten, daß er über die Fürsorge ein bißchen Kontakt mit den Eltern hält, daß man sie nicht aus den Augen verliert. Ich zitiere Prof. Gadner: Prim. Jürgenssen hätte daraufhin nicht einen angenehmen Kontakt gepflegt, sondern wäre zur Behörde gegangen und hätte ihnen das Sorgerecht entziehen lassen. Prof. Gadner hat gemeint, daß das der Punkt war, an dem das Ganze dann so eskaliert ist. Um auf Ihre Frage
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zurückzukommen: Ich hatte, als ich im Krankenhaus Tulln mit den Eltern immer wieder Kontakt hatte und gesprochen habe, schon den Eindruck, daß sie Dingen, die sie verstehen, von Menschen, denen sie vertrauen, absolut zugänglich sind. Wir haben z.B. in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einen Chirurgen aus dem SMZ Ost gebeten, der dafür bekannt ist, daß er nicht unbedingt Chemotherapie vor der Operation vertritt, sondern, wenn es irgendwie geht, den Tumor gleich primär entfernt. Als er gesagt hat, den Tumor kann man nicht einfach operieren, den muß man vorher zum Schrumpfen bringen, habe ich schon den Eindruck gehabt, daß die Eltern diesem Argument zugänglich waren und daß man das diskutieren konnte. Nur sind dann offenbar wieder Dinge passiert, die die Eltern wieder ganz in eine Konterhaltung gebracht haben.
Verteidiger Mag. Rebasso: Was waren das für Dinge?
Zeugin: Ich glaube, daß es mehr zwischenmenschliche Dinge waren, so wie das, was ich aus Spanien geschildert habe mit der Unterhose, als wirklich sachliche Dinge. Ich glaube, es liegt mehr an solchen Sachen, warum man zu jemandem kein Vertrauen hat.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wo waren in Spanien, als die Sache schon fortgeschritten war, die sensiblen Punkte? Waren sie dann letztlich gegen alles und jedes, was vorgeschlagen wurde?
Zeugin: Nein, sie sind ja auch in die Klinik gekommen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wo waren die springenden Punkte, wo man sich nicht einig werden konnte?
Zeugin: Es ist in Spanien um keine Details gegangen. Es war einfach, als wir gemeinsam in der Klinik
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waren, offensichtlich, daß das Verhalten der spanischen Ärzte nicht dazu angetan war, den Eltern Vertrauen zu vermitteln, und daraufhin die Hoffnung war, wenn man mit Prof. Gadner vor Ort spricht, ist es vielleicht doch möglich. Es ging hier nicht um Details. Die wollten dort Untersuchungen machen und gleich mit einer Therapie beginnen, aber nachdem die Eltern einfach kein Vertrauensverhältnis hatten, war die Vorstellung, daß man das vielleicht mit Prof. Gadner besser besprechen kann.
Verteidiger Mag. Rebasso: Hinter dem Vorwurf, der Gegenstand der Verhandlung ist, steht letztendlich die Meinung, daß man, wenn man sich Dr. Hamer anvertraut, sofort erkennen muß, daß das alles Unsinn ist, und man müßte auch als Laie von selber sofort draufkommen, daß man auf dem Holzweg ist. Glauben Sie, daß das so ist?
Zeugin: In der kindlichen Krebstherapie bin ich kein Fachmann. Ich kann daher weder zum schulmedizinisch-onkologischen Vorgehen noch zur NEUEN MEDIZIN von Dr. Hamer etwas sagen, weil ich mich einfach mit beidem nicht auskenne. Aber daß man sagt, das muß sozusagen auch der Hausmeister oder ich als Kinderärztin, die sich mit Krebs nie befaßt hat, erkennen, daß das Mumpitz ist, kann ich einfach nicht sagen, weil ich mich eben nicht genügend auskenne. Die prinzipielle Annahme, daß seelische Konflikte zu körperlichen Niederlegungen in Form von Krankheit führen, ist, glaube ich, etwas, das sowieso niemand bezweifeln wird.
Der ER: Nach Vorhalt Blg./3 zu ON 54, Schreiben mit Briefkopf "Amici di Dirk, Köln" datiert mit 24.7.1995 "Vereinbarung: Frau Dr. Marcovich als Beauftragte der österreichischen Regierung gibt die Versicherung ab, daß Olivia Pilhar nichts gegen den
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Willen der Eltern getan werden wird, insbesondere keine Chemo und kein stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus. Herr Dr. Stangl, Amtsarzt in Tulln, und Frau Dr. Rozkydal betreuen das Kind." Dann wechselt das Schriftbild, und es geht dann weiter: "Die Einbindung der beiden Obgenannten erfolgt nach Rücksprache mit Prof. Gadner, der im Sinne der Behörde die therapeutische Verantwortung für Olivia Pilhar trägt. Sämtliche diagnostischen und therapeutischen Schritte werden von Herrn Prof. Gadner nur im Einvernehmen mit den Eltern durchgeführt bzw. nach deren Aufklärung." Dann folgt nochmals das Datum 24.7.1995 und zwei Unterschriften, von denen ich eine als die Ihre erkennen kann.
Zeugin: Die zweite Unterschrift ist vom Konsul. Der zweite Teil des Schreibens wurde von mir verfaßt.
Der ER: Wie kommt das zustande, warum unterschreiben Sie das?
Zeugin: Als wir in der Früh zum Flughafen Malaga gekommen sind und dort die Eltern, die Kinder, Dr. Hamer und den Honorarkonsul getroffen haben, war Dr. Hamer dort, ich glaube sogar, mit einer Videokamera auf der Schulter, und hat mir dieses Schriftstück vorgelegt. Ich habe das damals gelesen und habe gesagt, erstens bin ich nicht die Beauftragte des österreichischen Staates; ich habe mich nicht so gesehen, obwohl es irgendwie klar war, daß ich von Österreich kommend und mit der Absicht, die Familie mit nach Hause zu nehmen, im Sinne der Absicht des Staates gehandelt habe. Prof. Gadner hatte inzwischen schon mit dem Justizminister und mit dem Bundespräsidenten gesprochen und war sozusagen im Sinne der Regierung im Moment der Verantwortliche, weil mit ihm als Fachmann, als Onkologe,
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immer rückgesprochen wurde. Ich verstehe ja nichts von der Onkologie. Es war ja er, der sozusagen aus dem Hintergrund gesagt hat, so oder so, und der auch in die ganze Sache eingebunden war. Daher habe ich geschrieben, er als momentan Verantwortlicher wird die Behandlung übernehmen. Ich wollte nicht zusagen, daß ich das Kind zu zwei Ärzten bringe, die mir zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren. Mir war Prof. Gadner die Referenzperson. Deswegen habe ich das hingeschrieben. Aus meinem ärztlichen Selbstverständnis heraus und meiner 20-jährigen Berufspraxis halte ich es auch für den gangbaren Weg, Kinder im Einvernehmen mit ihren Eltern zu therapieren oder zu behandeln. Ich denke, daß das auch Prof. Gadner so gesehen hat. Aus dieser Sicht habe ich auch diesen zweiten Satz hingeschrieben, daß er im Einvernehmen mit den Eltern handeln wird. Man muß sagen, er hat bis heute nicht ohne Einvernehmen der Eltern gehandelt, denn er hat ja dann die Behandlung, die verfügt wurde, nicht übernommen.
Der ER: Haben Sie und der Konsul unterschrieben, damit nicht noch einmal eine Komplikation kommt und Sie mit dem Kind nach Hause kommen können? So ist es auch in den Medien dargestellt worden.
Zeuge: Richtig. Das hat mich auch etwas gestört, weil ich an sich kein Mensch bin, der "Linke" macht, um irgend etwas zu erreichen.
Der ER: Ich würde das nicht als "Linke" bezeichnen. In einer bestimmten Situation, in der man unter Druck steht, kann man auch eine solche Unterschrift gegen den Willen rechtfertigen. So war es nicht?
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Zeugin: Das würde ich nicht so sehen. Ich mag niemanden betrügen, auch den Dr. Hamer nicht. Das, was ich dazugeschrieben habe, entspricht meiner Überzeugung.
Der ER: Auch in den Medien ist gestanden, daß nach dieser Unterschrift Dr. Hamer triumphierend zu den Medien gegangen wäre und gesagt hätte, er hätte quasi seinen Willen durchgesetzt.
Zeugin: Nein, das ist eine falsche Darstellung. Diese Szene hat im Spital in Malaga stattgefunden, und ich muß sagen, das hat mich gegenüber Dr. Hamer etwas negativ berührt. Er hat damals am Freitag um 10:00 Uhr ein zehnseitiges Schriftstück mitgebracht; das war eine ärztliche Empfehlung, worin er auf zehn Seiten niedergelegt hat, wie er sich die Therapie bei Olivia vorstellt und was er empfiehlt. Er wollte vom Honorarkonsul und von mir, daß wir das unterschreiben. Wir haben das auch beide unterschrieben, denn ich habe dem Honorarkonsul gesagt, eine Empfehlung heißt ja noch nicht, daß ich mich daran halte. Wenn mir heute jemand einen Zettel in die Hand drückt, er empfiehlt mir, daß ich in Spanien nicht in die pralle Sonne gehe, dann bestätige ich mit meiner Unterschrift, daß ich die Empfehlung zur Kenntnis genommen habe, das heißt aber noch nicht, daß ich nicht in die pralle Sonne gehe. Daher haben wir beide diese Empfehlung unterschrieben. Dann ist Dr. Hamer vor die Presse getreten, hat dieses Schriftstück geschwenkt und hat gesagt: "Der Vertrag ist unterschrieben, die NEUE MEDIZIN ist anerkannt." Das, muß ich sagen, hat mich etwas gestört, weil es einfach nicht den Tatsachen entsprochen hat.
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Verteidiger Dr. Schefer: Sie meinten, Prof. Gadner hat die Behandlung, die verfügt wurde, nicht übernommen?
Zeugin: Ja. Ich glaube auch nicht, - das weiß ich aber nicht - daß er damals in diese Diskussion in Tulln, wo dann die Zwangsbehandlung verfügt wurde, einbezogen war. Da bin ich überfragt, aber ich denke nicht. Ich weiß nur, daß er in allen Gesprächen mit mir nicht den Standpunkt vertreten hat, daß man zwangstherapieren sollte. Ich glaube, daß das von seinem menschlichen Verständnis her nicht in seiner Absicht gelegen war.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wir haben gehört, daß Prof. Gadner doch eine weit größere Rolle gespielt hat, als es bisher bekannt war. Es wird daher aus der Sicht der Verteidigung der Antrag gestellt, Prof. Gadner nochmals als Zeuge ergänzend zu vernehmen. Prof. Vanura hat heute ausgesagt, daß Prof. Gadner Olivia doch selbst untersucht haben soll, weiters hat er offenbar eine sehr große Rolle im Zusammenhang mit der Rückführung des Kindes gespielt und auch Gespräche mit Regierungsstellen geführt.
Der StA spricht sich gegen diesen Antrag sowie überhaupt gegen die Aufnahme weitere Beweise aus. Er weist weiters darauf hin, daß der Konsul in Malaga von den österreichischen Behörden um Vollzug der Obsorgeentziehung ersucht wurde. Er konnte nicht über die Obsorgeberechtigung verfügen.
Der ER behält sich die Entscheidung über diesen Antrag vor.
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Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben ausgesagt, daß Prof. Gadner den Namen einer Ärztin in Malaga genannt hat, die unter Umständen operieren könnte?
Zeugin: Er hat keine Ärztin, sondern einen Arzt genannt, und nicht einen, der operieren kann, sondern einen Onkologen, also einen Krebsspezialisten, der herangezogen werden könnte. Den Namen weiß ich nicht mehr.
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