Olivia Pilhar: Strafprozeß gegen Eltern
Zeuge Leeb
Zeuge Dr. Leopold Leeb, geboren 16.02.1950, praktischer Arzt, wh. 2500 Baden Kaiser Franz Joseph-Ring 27
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fremd, gibt nach WE vernommen an:
Der ER: Im Akt erliegt ein Protokoll, welches am Bezirksgericht Baden im Vorverfahren am 15.01.1996 mit Ihnen aufgenommen worden ist. Beziehen Sie sich grundsätzlich darauf? Kann ich von Ihrer Aussage als richtig ausgehen?
Zeuge: An Einzelheiten aus diesem Protokoll kann ich mich eigentlich nicht mehr erinnern. Das ist schon zu lange her.
Der ER: Nachdem Sie es unterschrieben haben, nehme ich an, daß das stimmt, was Sie angegeben haben?
Zeuge: Damals habe ich es so gesagt, aber ich kann mich heute nicht mehr an jeden Satz erinnern.
Ich bin niedergelassener praktischer Arzt in Baden mit der Fachrichtung Naturheilkunde, Spezialgebiet Homöopathie.
Der ER: Sind beide Beschuldigten oder nur Herr Pilhar und das Kind bei Ihnen gewesen?
Zeuge: Es war die Familie Pilhar mit Olivia am 14.06.1995 bei mir in der Ordination. Sie müssen meine Adresse von irgendwo erfahren haben und haben sich telefonisch angemeldet.
Der ER: In diesem Gespräch sagen Sie als Zusammenfassung: "Ich versuchte, Schulmedizin mit alternativen Medizin zu verbinden." Was wollten die Eheleute Pilhar von Ihnen?
Zeuge: Sie wollten von mir eine Befunderhebung und einen Behandlungsvorschlag.
Der ER: Haben Sie Befund erhoben, wenn ja, wie?
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Zeuge: Ja. Ich habe einen Tastbefund bei Olivia erhoben und dabei eine deutliche Leberschwellung festgestellt. Ich kannte die Diagnose Wilmstumor. Herr Pilhar hat mir vorher den bisherigen Verlauf geschildert. Ich war erstaunt, auch eine Leberschwellung festzustellen.
Der ER: Heißt das, daß Ihre Diagnose im Betasten des Bauches bestand und weiter nichts?
Zeuge: Als Zusatzbefund zu den Röntgenaufnahmen, die mitgebracht wurden.
Der ER: In Ihrem Protokoll steht weiters: "Bei Herrn Pilhar hatte ich den Eindruck, daß ich mit diesem meinem Anraten auf taube Ohren stoße." Was meinen Sie damit?
Zeuge: Das muß ich erläutern. Es ist um die Frage einer möglichen Chemotherapie gegangen. Nach dieser Befunderhebung haben wir gesprochen, wie die Chancen und Risiken der Behandlung durch Chemotherapie sind. Da habe ich die Familie Pilhar aus diesem Buch "Chemotherapie Maligne Erkrankungen" von Prof. Stacher und Moser informiert, in welchem steht, daß bei der Behandlung des Wilmstumors sehr aggressive Zytostatika angewandt werden, die Schäden im Nervensystem, im Herzmuskel und speziell in der Leber hervorrufen können.
Der ER: Was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Sie "auf taube Ohren stoßen"?
Zeuge: Dazu komme ich dann. Es hieß, daß man auch die Ausgangssituation des Patienten berücksichtigen muß, also auch vor allem den Zustand der Leber. Aus diesem Befund und diesen Informationen kann man sagen, daß die Anwendung der Chemotherapie in diesem Fall eher bedenklich wäre.
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Um noch einen zusätzlichen fachlichen Rat einzuholen, habe ich vorgeschlagen, daß sie einen mir bekannten Urologen in Deutschland aufsuchen. Ich glaube, auf diesen Rat bezieht sich diese Aussage, daß ich auf taube Ohren stieß.
Der ER: Im nächsten Absatz heißt es: "Wir sprachen im Zuge des Besuches auch über den allgemeinen Zustand von Olivia, wobei ich aber keine Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf stellte."
Heißt das, daß darüber, wie es mit dem Kind weitergeht, mit Ihnen nicht gesprochen worden ist?
Zeuge: Ich habe einen Behandlungsvorschlag gemacht, nämlich Operation des Tumors mit alternativen Begleitbehandlung mit homöopatischen Mitteln, biologischen Heilmitteln.
Der ER: Welche Aussicht auf Erfolg das hat, ist offenbar nicht besprochen worden, wenn keine Prognose gestellt wurde?
Zeuge: Ich sagte, dazu kann ich nichts sagen.
SV Dr. Scheithauer: Waren Sie jemals im Rahmen Ihrer Ausbildung zum praktischen Arzt an einer onkologischen Abteilung tätig?
Zeuge: Nein.
SV Dr. Scheithauer: Haben Sie außer Olivia jemals einen Patienten mit Wilmstumor behandelt?
Zeuge: Nein, das habe ich nicht.
SV Dr. Scheithauer: Trotzdem haben Sie über Nebenwirkungen der Chemotherapie gesprochen?
Zeuge: Die Information habe ich aus diesem Buch genommen.
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Der StA: Wissen Sie, wieviele Arten der Chemotherapie es gibt?
Zeuge: Nicht genau.
Der StA: Wissen Sie, daß das St.Anna-Kinderspital auf Wilmstumoren spezialisiert ist?
Zeuge: Ja.
Der StA: Wissen Sie, daß diese Spital keinen Schaden an der Leber festgestellt hat, sondern nur, daß der Tumor auf die Leber drückt; das ist etwas anderes?
Zeuge: ---
SV Dr. Scheithauer: Auch meinte Prof. Gadner, daß man das Abdrücken des Bauches bei dieser Erkrankung tunlichst vermeiden sollte, damit die Kapsel nicht aufreißt.
Zeuge: Ich war nur irgendwie verwundert. Ein Wilmstumor geht ja von der Niere aus und ist daher am vorderen Rippenbogen sicher nicht leicht zu tasten.
Verteidiger Mag. Rebasso: Die Eheleute Pilhar sind zu Ihnen gekommen, nachdem Diagnosen bereits vorhanden waren?
Zeuge: Das ist richtig.
Verteidiger Mag. Rebasso: Und zwar einerseits die Diagnose des Krankenhauses, die Ihnen die Eheleute Pilhar mitgeteilt haben, welche Wilmstumor gelautet hat?
Zeuge: Ja.
Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie bereits von seiten der Eheleute Pilhar mit der Möglichkeit konfrontiert worden, daß noch etwas an der Leber ist oder haben Sie das vollkommen selbst festgestellt?
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Zeuge: Diesen Befund habe ich selbst festgestellt. Ich habe ihnen geraten, zur weiteren Klärung diesen Urologen in Nürnberg aufzusuchen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wie haben Sie den Eheleuten Pilhar erklärt, warum Sie zu der Annahme gelangen, daß an der Leber etwas sein könnte? Was war Ihre Überlegung, aus dem Tastbefund auf eine Schwellung der Leber zu schließen?
Zeuge: Das war in diesem Fall leicht tastbar, weil der übrige Bauch weich war und nur am Rippenbogen eine deutliche Verhärtung zu tasten war, die ich als Leberschwellung erkannt hatte, aufgrund der Lokalisierung des Organs.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn es damals geheißen hat, es soll ein Wilmstumor vorliegen, was hätte aufgrund Ihres Tastbefundes eher für eine Leberschwellung und weniger für einen Wilmstumor gesprochen?
Zeuge: Die Lokalisation am vorderen Rippenbogen. Das habe ich den Eheleuten Pilhar so erklärt.
Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie dann einen weiterführenden Weg aufgezeigt?
Zeuge: Dann habe ich erklärt, daß in diesem speziellen Fall die Anwendung der Chemotherapie sehr kritisch geprüft werden müßte, weil bekannt ist, daß die Zytostatika stark leberschädigend wirken.
Verteidiger Mag. Rebasso: In welcher Form hätten Sie sich die weitere Überprüfung vorgestellt?
Zeuge: Ultraschalluntersuchung, Oberbauchcomputertomogramm.
Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie das auch so empfohlen?
Zeuge: So detailliert nicht.
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Verteidiger Mag. Rebasso: War das nur ein einziger Besuch des Ehepaares Pilhar?
Zeuge: Ja, am 14.06.1995.
Verteidiger Mag. Rebasso: Welchen Eindruck hatten Sie überhaupt? Es lag ja schon ein Krankenhausbefund vor. Warum kommt man, wenn man eigentlich eh schon einen Befund hat, doch noch zu einem anderen Arzt?
Zeuge: Ich hatte den Eindruck, daß die Familie Pilhar um das Wohl ihres Kindes sehr besorgt war und allein aus diesem Grund verschiedene Meinungen einholen wollte, um dann die bestmögliche Behandlung auszuwählen.
Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, Sie haben die Eheleute Pilhar an einen weiteren Urologen verwiesen. Wo hat dieser Urologe seine Ordination?
Zeuge: Er hat seine Praxis in Nürnberg.
Verteidiger Dr. Schefer: In Österreich gibt es auch Urologen. Warum denn nach Nürnberg?
Zeuge: Ich kannte den Arzt von früher, von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem nierenkranken Kind und dachte daher, daß die Familie Pilhar mit Olivia diesen Arzt aufsuchend sollte. Ich kannte den Arzt seit drei Jahren.
Verteidiger Dr. Schefer: Wissen Sie, wie lange dieser Urologe praktiziert?
Zeuge: Nein.
Verteidiger Dr. Schefer: Gab es darüber hinaus einen weiteren Grund, weshalb Sie der Meinung waren, daß gerade die Eheleute Pilhar in der geäußerten Problematik der Chemotherapie zu diesem Urologen gehen sollten? Gab es einen Zusammenhang zwischen der chemotherapeutischen Problematik und Ihrem Hinweis, diesen
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Urologen aufzusuchen? Beispielsweise, daß dieser Urologe Ihnen dafür bekannt war, daß er mit chemotherapeutischer Behandlung besonders vorsichtig ist oder in diese Richtung?
Zeuge: Ja, das schon, daß er wirklich sehr genau abwägt, in welchem Fall welche Therapie ideal ist.