Olivia Pilhar: Strafprozeß gegen Eltern
SV Scheithauer
SV Dr. Scheithauer: Das Problem ist, daß in einem Zeitraum vom 18.5., dem Tag der Erstdiagnoserstellung, bis zum Juli drei oder vier Computertomographieserien aus verschiedenen Händen vorlagen, die vom Primarius einer radiologischen Abteilung, der am Allgemeinen Krankenhaus war und jetzt in Neunkirchen ist, seriell befundet wurden, und der Befund der Leber war immer unauffällig. Das war nur ein Eindrücken der Leber durch den Wilmstumor von außen. Das wollte ich nur definiert wissen. Die Problematik ist, daß die Radiologie und speziell die Computertomographie sehr diffizil ist und ich mir selbst nicht zutrauen würde, ein Bild ganz korrekt ohne Radiologen zu befunden und zu interpretieren und therapeutische Implikationen in Abhängigkeit davon zu setzen.
Verteidiger Dr. Schefer: Liegen Ihnen diese Bilder noch vor?
SV Dr. Scheithauer: Ich habe die schriftliche Befundung dieser Bilder. Die Bilder selbst habe ich nicht in der Hand gehabt.
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Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben diese Bilder doch Ihrem Gutachten zugrundegelegt?
SV Dr. Scheithauer: Ich habe sämtliche Befundunterlagen, auch die Befunde der Tomographie, die schriftlichen Befunde, gehabt.
Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben diese Bilder gar nicht gesehen?
SV Dr. Scheithauer: Wie gesagt, meine radiologischen Kenntnisse sind nicht in dem Maße, daß ich sie als Grundlage meines Gutachtens hätte nehmen können.
Verteidiger Dr. Schefer: Sie müssen doch in Augenschein nehmen, worüber Sie sprechen. Das steht im Gesetz. Halten Sie das für ausreichend? Dann ist ja eigentlich Dr. Hübsch der Sachverständige gewesen.
SV Dr. Scheithauer: Dr. Hübsch ist einer der Röntgenologen gewesen. Das ist ja nicht nur ausschließlich von ihm ad personem, sondern von drei verschiedenen Radiologen an Ort und Stelle in gleicher Art und Weise befundet worden. Ich glaube nicht, mir als Internist anmaßen zu können, die Befunde von drei unabhängigen Radiologen in Frage zu stellen.
Verteidiger Dr. Schefer: Halten Sie sich für ausreichend kompetent? Sie haben etwas zugrundegelegt, was Sie nicht gesehen haben.
Verteidiger Dr. Schefer beantragt neuerlich Beischaffung der Krankenunterlagen inklusive Bilder. Weder der Sachverständige noch die Verteidigung noch der StA habe sie gesehen. Niemand habe die bildgebenden Dokumente gesehen, woraus sich genau diese Feststellung zweifelsfrei ergeben könnte, daß ein Lebergeschehen vor dem 19.5.1995 schon oder nicht vorlag.
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SV Dr. Scheithauer: Sie selbst haben bei der letzten Verhandlung darauf hingewiesen, - das hat auch Prof. Gadner bestätigt - daß die Radiologie, die röntgenologischen Befunde, auch die Computertomographie, eine gewisse Problematik bietet, daß man die Tumorstadien radiologisch nicht unbedingt oder eindeutig 100%ig zuordnen kann. Ich habe als Gutachter nichts anderes getan, als die Gesamtheit der Dinge zu beurteilen. Als kritischer Onkologe kann ich mich nur an die Beschreibung des Zustandes, an die Laborwerte, an die vorliegenden Befunde, an den Verlauf und an das Gesamtbild halten und mich danach orientieren und dahingehend mein Gutachten erstellen. Es würde niemandem einfallen, anhand einer Computertomographie so ein Verfahren durchzuführen. Das ist ein winzig kleiner Aspekt.
Verteidiger Dr. Schefer: Ist es von Bedeutung, ob Anfang/Mitte Mai 1995 ein kanzerogenes Geschehen an der Leber vorlag oder nicht?
SV Dr. Scheithauer: Ich würde sagen, bedingt. Von der Beurteilung des Tumorstadiums her im primären Zeitpunkt der Diagnosestellung ja; aber wenn sich ein Patient im Stadium 4 befindet und in gutem Allgemeinzustand ist, besteht immer noch eine Überlebenschance, wie Sie von Prof. Gadner gehört haben, von 60 bis 70%. Die Problematik war, daß zum Zeitpunkt der Einleitung der Therapie aufgrund des Allgemeinzustandes die Chancen nur mehr bei 10 oder 20% lagen. Von der therapeutischen Strategie her hätte sich nicht sehr viel geändert.
Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben das jetzt auf die Stadieneinteilung bezogen. Es geht doch um die Indikation von Chemotherapie. Die Beurteilung hinsichtlich
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des Einsatzes der Chemotherapie wäre doch bei einem Lebergeschehen eine ganz andere.
SV Dr. Scheithauer: Da würde man auf jeden Fall primär die Chemotherapie zur Anwendung bringen. In Europa wird auch beim Stadium 1 und beim Stadium 2 primär die Chemotherapie eingeleitet.
Verteidiger Dr. Schefer: Wie wäre es mit der Chemotherapie, wenn ebenfalls Leberkrebs vorgelegen hätte?
SV Dr. Scheithauer: Die Wahrscheinlichkeit einer Koinzidenz, daß bei einem Wilmstumor, der eine sehr seltene Krankheit darstellt, gleichzeitig ein Lebertumor vorliegt, ist ungefähr 1 zu 100 Mio. Es gibt keinen Fallbericht. Man kann auch computertomographisch, wenn etwas in der Leber vorgelegen hätte, was offenbar nicht der Fall war, nicht zwischen einem Lebertumor und einem Wilmstumor differenzieren können.
Der Erstbeschuldigte: Sie haben gesagt, die Wahrscheinlichkeit beträgt 1 zu 100 Mio. Nehmen wir an, das wäre so ein Fall. Dann hätten Sie nicht zwischen Leberkarzinom und Wilmstumor unterscheiden können?
SV Dr. Scheithauer: Man könnte von außen eine Raumforderung in der Leber beurteilen, was eben offenbar nicht der Fall war. Mehr kann man nicht sagen. Man kann nicht durch die Computertomographie den Aufbau dieses Gewerbes beurteilen.
Der Erstbeschuldigte: Kein Schulmediziner hätte das anhand von Abdomen-CT's differenzieren können?
SV Dr. Scheithauer: Nur bedingt; er kann nur Vermutungen anstellen.
Verteidiger Mag. Rebasso: Wie hätte die Therapieanordnung gelautet, wenn der von Ihnen als so
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selten bezeichnete Fall eingetreten wäre, daß tatsächlich ein Krebsgeschehen in der Leber vorgelegen wäre?
SV Dr. Scheithauer: Das kann ich nicht beantworten.
Der Erstbeschuldigte: Drei Ärzte haben ausgesagt, daß nach ihrer Vermutung Leberkrebs vorlag. Es gibt mehr Ärzte, die das bestätigen. Der Sachverständige sagt gerade, daß die Schulmediziner anhand von Abdomen-CT's Leberkrebs nicht differenzieren können.
Verteidiger Dr. Schefer: Entweder es gab keinen Leberkrebs oder man kann nicht differenzieren. Somit kann man nur feststellen, daß die Schulmedizin aus den Aussagen des Dr. Scheithauer sagen kann, es könnte sein, es kann nicht sein, sie können es nicht feststellen. Es steht anders in seinem Gutachten.
Verteidigung legt vor ein Schriftstück (Fall Angelo Amstutz), datiert Madrid, 7.11.1996, welches verlesen und zum Akt genommen wird, sowie diesen Fall betreffende Lichtbilder, welche nach Einsichtnahme durch den Sachverständigen wieder ausgefolgt werden; dies zur Frage, wie es in der Krebstherapie allgemein zugeht, wie der Meinungsstand, insbesondere auch die Akzeptanz, der Theorie des Hamerschen Lösungsansatzes allgemein zu betrachten ist, sowie zur Widerlegung der Behauptung, daß dies eine Sondermeinung sei, der keinerlei Relevanz zukommen
Der Erstbeschuldigte: Hamer hat gewußt, wie sich das entwickelt und wir haben Hamer vertraut.
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Der StA spricht sich gegen diese Begutachtung aus, weil sie mit der gegenständlichen Strafsache nichts zu tun habe, dies betreffe ein anderes Kind.
Verteidiger Dr. Schefer: Es geht darum, ob die Eltern abwarten durften. Sie waren der Meinung, durch Abwarten würde sich etwas verbessern. Von der Anklage wird dargestellt, daß dieses Abwarten kriminell sei. In dem hier vorgelegen Fall ist eben abgewartet worden, insoferne ist das zentral. Genau das war es, was die Eltern wollten.
SV Dr. Scheithauer gibt zu dem vorgelegten Schriftstück samt Lichtbildern an wie folgt:
Das wäre der klassische Fall, anhand dessen ich mir nicht anmaßen würde, ein Gutachten zu erstellen. Es handelt sich im wesentlichen um einen Buben, bei dem in einem Schweizer Spital der Verdacht auf eine andere Diagnose, auf eine andere maligne Erkrankung im Bereich der Harnblase ausgesprochen wurde. Der Chirurg beschreibt, daß er den Bauch eröffnet hat und daß nach seiner Ansicht diese Erkrankung nicht vorliegt. Er bezeichnet das vorübergehend als Wilmstumor und bringt dann verschiedene Gedanken der Hamer-Thesen hinein. Es gibt keinerlei Befunde, die das erhärten, was immer das auch für eine Erkrankung war. Ein bißchen würde ich die Qualität des Chirurgen in Frage stellen, denn wenn man eine operative Handlung setzen will, muß man ein bißchen darauf vorbereitet sein, daß man einen solchen Tumor dann auch reserziert. Man wird nicht einem Kind einfach den Bauch auf- und zumachen und sich dann selbst als nicht gut genug ausgerüstet erachten, um die Operation zu vollziehen. Weiters macht ein bißchen stutzig, daß er sagt, eine gute
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Operation wäre im weiteren zu fordern, möglicherweise nicht durch die Bauchdecke. Wie man einen so großen Tumor nicht durch die Bauchdecke aus dem Bauchraum operativ entfernen soll, macht mich stutzig. Weiters haben wir gehört, daß womöglich jegliche Manipulationen am Wilmstumor zu vermeiden sind, und er überlegt, einen Schnitt quer durch zu machen, um das Tumorgeschwulst abzunabeln. Das einzige, was ich mir anhand dieses Berichtes anmaßen würde, zu urteilen, ist, daß ich die Qualifikation des Chirurgen sehr in Frage stellen würde. Ich kann nicht sagen, ob das ein Wilmstumor ist. Er bezeichnet ihn nur vorübergehend, passager, als Wilmstumor. Ich kann damit eigentlich gar nichts anfangen.
Verteidiger Dr. Schefer: Könnte es sich bei diesem Fall um einen Wilmstumor handeln?
SV Dr. Scheithauer: Es ist wirklich sehr schwierig, anhand eines Fotos zu urteilen, ob das ein Wilmstumor ist oder nicht.
Verteidiger Dr. Schefer: Was könnte es denn sonst sein?
SV Dr. Scheithauer: Es ist sehr schwierig. Es könnte durchaus eine primär gutartige Wucherung sein, primär als Zyste oder als gutartiger Tumor, z.B. Samarkom. Auch das gibt es. Das ist wirklich schwierig; das ist ein Rätselraten. Vom makroskopischen Aspekt her ist das nicht wirklich zu beurteilen.
Verteidiger Dr. Schefer: Aber auf diesen Lichtbildern sieht man ja schon mehr als bei Olivia. Als Olivia damals beurteilt wurde, wurde gesagt, es ist zu 95% ein Wilmstumor. Hier ist sogar der Bauch geöffnet und man kann es immer noch nicht feststellen? Wann kann man es denn feststellen?
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SV Dr. Scheithauer: Ich habe hier keinerlei Befunde, das sind fünf Schreibmaschinenseiten, die in gebrochenes Deutsch übersetzt sind. Es wäre wirklich oberflächlich, mir ein Urteil anhand von ein paar Fotos und anhand eines Berichtes eines Chirurgen, den ich aufgrund seiner Aussagen nicht als wirklich qualifiziert erachten kann, anzumaßen.
Verteidiger Dr. Schefer: In Ihrer letzten Aussage (S. 74 des Protokolls) haben Sie als Sachverständiger ausgesagt: "In manchen Fällen, wenn es eine sehr günstige Prognose ist, es also ein sehr ausgereifter Tumor ist, muß keine Chemotherapie gemacht werden."
Könnte es sich in diesem Fall um einen ausgereiften Tumor handeln?
Die Frage wird vom ER nicht zugelassen.
Der ER: Hat sich aufgrund dessen, was Sie heute von den Zeugen gehört haben, etwas ergeben, woraufhin Sie zu Ihrem Gutachten noch etwas ergänzen sollten? Gibt es etwas, wozu Sie noch Stellung nehmen möchten?
SV Dr. Scheithauer: An und für sich nicht.
Der StA: keine Fragen an den SV.
Verteidiger Mag. Rebasso: Könnten Sie eine klarere Aussage treffen, wenn Sie ein Video der Operation über diesen Fall zur Verfügung hätten?
SV Dr. Scheithauer: Nein.
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Verteidiger Dr. Schefer: Welche Unterlagen brauchten Sie noch, um eine Aussage darüber treffen zu können?
SV Dr. Scheithauer: Wenn der Tumor letztendlich operiert worden ist, dann einen Operationsbericht, einen feingeweblichen Befund und die entsprechenden anderen Befunde, die vorweg gemacht worden sind, seriell, Laborchemie, bildgebende Verfahren. Entscheidend ist sicher, daß in letzter Konsequenz histologisch, feingeweblich, nachgewiesen wird, daß es wirklich ein maligner Tumor war.
Verteidiger Dr. Schefer: Meinen Sie, daß anhand dieser Unterlagen, insbesondere der Fotos, vielleicht Prof. Gadner Aussagen machen könnte? Er ist ja der Experte auf dem Gebiet des Wilmstumors. Halten Sie das für möglich?
SV Dr. Scheithauer: Ich glaube persönlich, eher nicht.