"Germanischer Medizin" vertraut
Nazi-Paar kommt auf Bewährung frei
Ein Gericht versucht den Tod der vierjährigen Sieghild aufzuklären. Das Mädchen litt an Diabetes, die Eltern ließen es aber nicht regelmäßig ärztlich betreuen und vertrauten eher der "Neuen Germanischen Medizin". Ins Gefängnis kommen sie dafür nicht. → PDF
Weil es seine diabeteskranke Tochter nicht ausreichend mit Insulin versorgt und dadurch den Tod der Vierjährigen verursacht hat, hat das Landgericht Hannover ein Elternpaar zu Bewährungsstrafen verurteilt. Der 32-Jährige und seine vier Jahre jüngere Frau erhielten Bewährungsstrafen von je acht Monaten wegen fahrlässiger Tötung, die Eltern müssen also nicht in Haft.
Beide Eltern stammen aus rechtsextremen Familien. Ihre fünf Kinder tragen altdeutsche Namen, das 2009 gestorbene Mädchen hieß Sieghild. Die 28 Jahre alte Mutter wuchs in der vom rechtsextremen Anwalt Jürgen Rieger geleiteten "Artgemeinschaft" auf, der Vater war Mitglied in der 1994 verbotenen "Wiking-Jugend". Beide Angeklagten bestritten aber, Neonazis zu sein.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, sie hätten versucht, das Kind vom Insulin zu entwöhnen und ihm stattdessen Rohkost gegeben. "Sie können sich bei einem Kind aber nicht beliebig irrationalen Vorstellungen hingeben, sagte Richter Wolfgang Rosenbusch.
Laut Anklage hatten die Eltern an die Heilsvorstellungen der "Neuen Germanischen Medizin" geglaubt. Dahinter steht der mehrfach verurteilte ehemalige Arzt Ryke Geerd Hamer. Er geriet wegen umstrittener Heilmethoden für Krebspatienten vor 20 Jahren weltweit in die Schlagzeilen.
Eltern mit Verbindungen zum rechtsextremen Milieu
Vor Gericht beriefen sich die Eltern auf Erinnerungslücken und Unkenntnis. Sie beteuerten, den lebensbedrohlichen Gesundheitszustand ihres Kindes an Heiligabend 2009 und kurz davor falsch eingeschätzt zu haben. Das Paar lebte damals bei Uelzen, heute im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt.
Das Verfahren hatte ein älterer Bruder des Angeklagten ins Rollen gebracht, der erst 2013 zur Polizei ging.
Seine Behandlungsmethoden hatten womöglich fatale Auswirkungen: Ryke Geerd Hamer. Ihm wurde 1986 die ärztliche Approbation entzogen, weil seine Methoden medizinisch unwirksam und zudem extrem risikoreich waren.
Nach Darstellung dieses Zeugen war vor allem die Mutter des zuckerkranken Kindes "eine fast sektenmäßige Anhängerin der Theorien Hamers", nach denen Krankheiten auf innere Konflikte zurückgehen. Sein Bruder habe ihm erklärt, dass man dem Mädchen das Insulin abgewöhnen wolle, sagte der 42-Jährige vor Gericht. Der Mann liegt mit seinem jüngeren Bruder seit dem Scheitern eines gemeinsamen Unternehmens im Streit und wurde wegen einer Attacke auf den 32-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Aber auch eine Ärztin des Klinikums Braunschweigs berichtet im Zeugenstand davon, dass sie der Vater des kranken Kindes bei der Insulin-Einstellung 2007 auf eine Rohkost-Therapie angesprochen habe.
Eltern sollen Schulmedizin abgelehnt haben
Nicht wirklich erklären konnten die Eltern, warum sie die Tochter nicht von einem Facharzt betreuen ließen. Das Insulin bezogen sie von einer hausärztlichen Praxis in Uelzen, die nie überprüfte, ob das Kind tatsächlich im Klinikum Braunschweig in Behandlung war, wie die Eltern angaben. Die Ärzte des Klinikums Braunschweig hatten 2007 nach der Entlassung des Mädchens das Jugendamt eingeschaltet, weil sie den Eindruck hatten, die Familie lehne die Schulmedizin ab.
Dass Eltern ihrem Kind eine lebenserhaltende oder dringend notwendige Behandlung bewusst verweigern, ist nach Experteneinschätzung höchst selten. "Das sind Einzelfälle. Eltern wollen in der Regel das Beste für ihr Kind", sagte die Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Uni Göttingen, Claudia Wiesemann. Wenn Eltern eine lebenserhaltende medizinische Behandlung verweigern, komme ein vorübergehender Entzug des Sorgerechts infrage.
Der Sprecher des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Ulrich Fegeler, sieht in der teilweise fahrlässigen Therapieumsetzung von Eltern das größere Problem als in einer kompletten Behandlungsverweigerung. "Hier kommt es sehr auf die Kunst des betreuenden Arztes an, Eltern immer wieder zu ermuntern und auf die Konsequenzen einer nur mangelhaft durchgeführten Therapie hinzuweisen", sagte Fegeler. Manchmal müsse allerdings das Jugendamt eingeschaltet werden, wenn die Eltern psychisch und intellektuell überfordert seien.
Quelle: ntv.de, Christina Sticht, dpa