Dubioser Heiler und seine Anhänger: „Wie eine Sekte“
Schwäbische.de, 11.02.2015 → PDF
Dr. Krista Federspiel
Musste eine Vierjährige sterben, weil ihre Eltern Anhänger eines dubiosen Heilers waren?
Ein Elternpaar muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht Hannover verantworten. Die beiden sollen ihrer diabetskranken Tochter zu wenig des lebensnotwendigen Hormons Insulin verabreicht haben und stattdessen auf Rohkost gesetzt haben. Die Vierjährige starb. Die Eltern sind wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die sie Anhänger des mehrfach verurteilten ehemaligen Arztes Ryke Geerd Hamer sind. Dessen „Germanische Neue Medizin“ hat laut der österreichischen Medizinjournalistin Krista Federspiel mindestens 500 Menschen das Leben gekostet. Seine mit rechtsextremem Gedankengut angereicherten Thesen hätten zahlreiche Anhänger, sagt Federspiel: „Allein in Baden-Württemberg gibt es 16 Stammtische, die sich regelmäßig treffen und Hamers Thesen diskutieren und verbreiten.“
Ryke Geerd Hamer begründete die „Germanische Neue Medizin“, die angeblich gegen Krebs und andere Krankheiten helfen soll. Der heute 79-Jährige studierte Medizin und evangelische Theologie in Tübingen. Doch aufgrund seiner wissenschaftlich nicht haltbaren Thesen verlor er seine Zulassung als Arzt, auch seine Habilitation an der Universität Tübingen wurde nie anerkannt. Er wurde mehrfach wegen seiner kriminellen Praktiken verurteilt und saß mehre Monate in Haft. Er floh von Deutschland nach Österreich, später nach Frankreich und Spanien. Heute lebt er in Norwegen. Aufsehen erregte er 1995, als ein österreichischen Mädchen fast starb, nachdem seine Eltern aufgrund von Hamers Rat einen Tumor nicht behandeln ließen. Erst als die Behörden den Eltern das Sorgerecht entzogen, konnte die kleine Olivia behandelt werden und überlebte die Erkrankung. Im Gespräch mit Katja Korf erläutert die Medizinjournalistin Dr. Krista Federspiel , was hinter Hamers Thesen steckt.
Frau Federspiel, ist der aktuell verhandelte Fall in Hannover ein Einzelfall?
Nein. Seit 1983 gibt es rund 500 Patienten, die sich auf die sogenannte Germanische Neue Medizin von Ryke Geerd Hamer verlassen haben und gestorben sind, sowohl Erwachsene als auch Kinder.
Wie hat Hamer seine Theorie entwickelt?
Hamers ältester Sohn ist durch einen Unfall in 1978 gestorben, vier Monaten danach wurde bei Hamer selbst Hodenkrebs diagnostiziert und erfolgreich behandelt . Daraus hat er seine Theorie entwickelt, nach der ein seelischer Schock Ursache für schwere Krankheiten, vor allem Krebs, sein kann.
Warum fallen so viele Menschen auf diese Thesen herein?
Die These, ein seelischer Konflikt wäre die Grundlage einer Erkrankung. Das klingt für Betroffene verständlicher als die komplizierte, wissenschaftliche Erklärung: Eine Zelle verändert sich durch verschiedene Einflüsse und entwickelt sich zu einem Tumor Außerdem haben sich Hamer und seine Anhänger immer stärker zu einer Sekte entwickelt, die ihre Lehre verbreitet hat.
Was heißt das?
Wenn Menschen in einer kritischen Lebenssituation von Sektenvertretern angesprochen werden, können sie leicht in diese Wahnwelt hineingezogen werden. Sie geraten in ein Glaubenssystem, aus dem sie von alleine nicht herausfinde. Alles außerhalb dieses Gedankengebäudes wird verleugnet oder verdrängt.
Zu der Gedankenwelt gehören auch rechtsextreme Ansichten.
Ja, 2003 kam der Begriff „Germanische Neue Medizin“ für Hamers Theorien auf. Er wollte seine Medizin zunächst biologische Medizin nennen, dann hat er das „Germanische“ als Reizwort gewählt und auch antisemitische Thesen aufgenommen – wohl auch, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Einige seiner Anhänger sind eindeutig dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen, etwa der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Passau, Martin Gabling.
Kann man beziffern, wie viele Anhänger er hat?
Das ist schwierig zu schätzen. Ein Beispiel: In Baden-Württemberg gibt es 16 Stammtische, die sich regelmäßig treffen, und Hamers Thesen diskutieren und verbreiten. In Österreich gab es in den 1990 etwa 20 Ärzte, die seine Theorien vertreten haben und ihre Patienten trotz der Diagnose Krebs nicht behandelt haben. Zehnmal so viele werden es in Deutschland gewesen sein. Hunderte Laien haben Vorträge des Hamer-Vereins in Deutschland und Österreich gehört, Tausende haben seine Bücher gelesen.
Wie sieht Hamers Therapieempfehlung für Kranke aus?
Er empfiehlt, nichts zu tun außer der von ihm erfundenen Konfliktolyse. Damit soll in „Therapiesitzungen“ der seelische Konflikt beseitigt werden, der angeblich den Krebs oder die Krankheit ausgelöst hat. Danach soll der Patient auch Schmerzen durchleiden, Hamer hat seinen Patienten auch keine Schmerzmittel verabreicht. Sein Versprechen ist: Wenn du den Schmerz erträgst, kommt die Heiliung. Die Betroffenen sterben also unter Schmerzen, sie leiden Qualen. Und dennoch gibt es Briefe, die Kranke kurz vor ihrem Tod geschrieben haben, die trotz ihrer Schmerzen weiter an das Heilsversprechen Hamers geglaubt haben
Was ist so gefährlich an den Heilsversprechen von Scharlatanen wie Hamer?
Das Versprechen lautet: Du wirst gesund werden, wenn du deinen seelischen Konflikt löst. Das hat Hamer zunächst nur für Krebs postuliert, mittlerweile hat er sie auch auf andere Erkrankungen wie Allergien oder Neurdodermitis ausgeweitet. Die Gefahr ist, dass eine heilbare Krankheit – auch viele Krebsarten sind heute gut zu behandeln – weiter fortschreitet, sogar bis zum Tod. Das Tragische ist, dass die Menschen so tief verstrickt in die Gedankenwelt Hamers sind, dass sie nicht mehr herausfinden. Wie bei anderen Sekten wird auch dazu geraten, den Kontakt zum Hausarzt und zu kritischen Angehörigen und Freunden abzubrechen.
Woran liegt das?
Innerhalb der Anhängerschaft wird nicht über Misserfolge diskutiert. In seinen Kliniken hat Hamer gelegentlich Eisbeutel, Coca Cola oder Cortison gegen Krebs eingesetzt. Das hat natürlich nicht gewirkt, aber dennoch haben seine Anhänger weiter an ihn geglaubt. Das sind eben diese sektenähnlichen Strukturen: Ein Gedankengebäude, in dem Widerspruch nicht vorkommt oder als von bösen äußeren Mächten gesteuert dargestellt wird. Hamer vermengt seine Lehren auch mit magischen Elementen: So sollen Patienten Konflikte aufschreiben und die Texte verbrennen, um das Problem zu lösen. [Anmerkung: Federspiel kann nicht zwischen dem Inhalt der Bücher von Dr. Hamer und den Büchern der Räuber und Verfälscher der Germanischen unterscheiden.]
Woran erkennt ein Patient oder Angehöriger, dass bestimmte Therapieversprechen falsch sind?
Das erste Zeichen: Jemand behauptet, er habe eine ganz neue Medizin erfunden und nur er kenne sich damit aus. Niemand anders kannt diese Therapie richtig anwenden. Zweitens: Die Schulmedizin würde ihn verfolgen. Andere Ärzte, die Hochschulmedizin werden verspottet und diffamiert. Solche Behauptungen wie „Chemotherapien haben Millionen Tote verursacht“ oder „Schulmedizin ist Firlefanz“ sind charakteristisch für Hamer. Oft nehmen solche Gurus auch viel Geld für ihre Beratung. Auch das Verbreiten von Verschwörungstheorien sind ein Hinweis. Wer von einer außergewöhnlichen Therapie hört, sollte auf jeden Fall noch eine zweite Meinung von einem anderen Arzt einholen. Krebskranke können sich beim Krebsinformationsdienst beraten lassen. Man sollte auch immer fragen, ob die Krankenkasse eine Therapie zahlt. Bei lebenswichtige Behandlungen zahlen Kassen in der Regel nur, was wissenschaftlich erwiesen auch wirkt.
Warum sollten man sich auf die Schulmedizin verlassen?
Wie leben in Zeiten der evidenzbasierten Medizin. Das heißt: Die Wirksamkeit von Therapien wird in wissenschaftlichen Studien immer wieder und sehr genau überprüft. Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, nur jene Behandlungen anzuwenden, die erwiesenermaßen helfen und wirtschaftlich effizient sind. Natürlich mag es Streit geben, welche Mittel besser oder schlechter wirkt. Natürlich helfen einige Therapien bei dem einen Patienten besser oder schlechter. Aber auf die Frage „Welche Medizin hilft bei meiner Krankheit“ liefert die wissenschaftlich begründet Schulmedizin die besten Antworten, bei vielen Krankheitsbildern gibt es heute auch ganz eindeutige Antworten.
Gilt das auch für Impfgegner, die den Nutzen von Impfen infrage stellen?
Das ist ein Phänomen, das sich derzeit zusehends ausbreitet. Das liegt wohl auch daran, dass viele Menschen gefährliche Kinderkrankheiten nicht mehr aus eigener Anschauung kennen und wissen, welche schlimmen Folgen Pocken oder Masern haben können. Ich habe zum Beispiel noch ein Kind fast an Hirnhautentzündung nach einer Masernerkrankung sterben sehen. Außerdem gibt es in diesem Bereich massive Kampagnen mit Fehlinformationen. Leider lehnen auch viele Anthroposophische Ärzte und viele Homöopathen Impfungen ab. Sie behaupten, die Krankheiten müsste durchgemacht werden, das sei gut für die kindliche Entwicklung. Einer von 1000 Masern-Patienten erkrankt an Gehirnhautentzündung. Jährlich sterben weltweit 400.000 Menschen an Masern.