"Neue Medizin" nur in Österreich möglich

ÄrzteWoche, 23.6.93

Hamer hält Chemo- und Strahlentherapie bei Krebspatienten für überflüssig.

Graz. Dr. Ryke Geerd Hamer, in Deutschland mit Berufsverbot belegt, dessen "NEUE MEDIZIN" von allen namhaften Fachleuten abgelehnt wird, betreibt im oststeirischen Burgau ungehindert ein "Zentrum für Neue Medizin"

In diesem Zentrum wird natürlich nicht behandelt, sondern nur informiert, da Hamer in Österreich keine Berufsberechtigung als Arzt hat. Zuletzt stand er unter Verdacht, in zumindest zwei Fällen in der Steiermark Krebskranke zum Abbruch ihrer konventionellen Behandlung veranlaßt und damit ihren Tod verschuldet zu haben. Die Staatsanwaltschaft Graz legte die Anklage aus Mangel an Beweisen zurück.

Heilungsrate beträgt angeblich 90 Prozent

Hamer: "Die Leute, die zu mir kommen, sind schwerstkrank. Nur durch die Information über die NEUE MEDIZIN überleben 90 Prozent von ihnen. In der Schulmedizin sterben 95 Prozent aller Krebspatienten. Die bieten ja nichts an, außer Idiotenkram." Wie er denn schwerstkrank definiere? "Gar nicht. Die Schulmediziner sagen das ja."

Auch in der BRD konnte er nur wegen des Verstoßes gegen das Berufsverbot belangt werden. Er verschrieb einem Schüler mit "Gelenkrheumatismus" eine Gipsschiene. Das Bein des Buben mußte mit der Diagnose Osteosarkom amputiert werden. Hamer dazu: "Akuten Gelenkrheumatismus gibt es gar nicht mehr. Alle diese Leute liegen heute mit Osteosarkom in der Klinik. Diagnosen an sich sind ja wieder so ein Idiotenkram."

Das Immunsystem ist "ein große Fata Morgana"

Laut APA bestreitet Hamer die Existenz krebserregender Substanzen, das Immunsystem ist für ihn "eine große Fata Morgana", Metastasen sind nur "Märchen". Hamer spricht selbstbewußt von der "Eisernen Regel des Krebses". Studien kann er keine anbieten, in seinen Büchern finden sich nur Einzelfall-Analysen. Die "Hamerschen Herde" sehen Röntgenologen als Artefakte an.

Hamer: "Ich habe ein Schreiben aus der obersten Etage von Siemens, dem Hersteller der CT-Geräte, daß es keine Artefakte sind. Es war ja nie eine ehrliche Diskussion möglich. Meine Arbeit wurde von Anfang an gestört. Nicht einmal auf den ‘heißen Stuhl’ im RTL wurde ich eingeladen, weil sie fürchteten, ich würde meine Gegner in drei Minuten wegdiskutieren."

Der Kurpfuscherreferent der steirischen Ärztekammer, Prof. Dr. Peter Leinzinger, nennt Hamer einen "vielleicht psychisch kranken Menschen" und vermutet "persönliche Gründe". In der Tat begann Hamers Kampf gegen die Schulmedizin nach dem Tod seines 19jährigen Sohnes Dirk. Hamer und seine Frau Sigrid erkrankten danach schwer, die Ärztin starb 1985.

Keine Anzeige wegen Kurpfuscherei möglich

Dr. Otto Pjeta, Kurpfuscher-Referent der Österreichischen Ärztekammer, sieht ein Versagen der Staatsanwaltschaft: "Hamer muß als Kurpfuscher anzuzeigen und zu verurteilen sein." Der Kammerjurist Dr. Thomas Holzgruber sieht das anders: "Leider nicht, denn die deutsche Ausbildung ist der österreichischen sicher gleichwertig. Erst wenn das Doktorat aberkannt wird, kann Hamer als Kurpfuscher verurteilt werden. Und dann ist das Strafausmaß gering. Die Anklage wegen fahrlässiger Tötung wäre da viel erfolgversprechender."

Die einzige Anklage, die derzeit noch läuft, ist eine wegen Verleumdung. Hamer hatte einen anderen Arzt beschuldigt, falsch zu behandeln. Laut Holzgruber wäre auch ein Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs denkbar. Insgesamt aber ist für ihn "der Fall Hamer eine frustrane Sache. Und ORF und Kleine Zeitung bieten ihm auch noch eine Plattform für seine Ideen."

Die Universität Tübingen arbeitet an der Aberkennung des Doktortitels. Der schwierige universitäre Amtsweg ist aber noch lange nicht abgeschlossen.

Livia Rohrmoser

***

Kommentar von Dr. Günther Linemayr

Diese Haltung ist unverantwortlich!

Dr. Hamer tritt - unter anderem auch in Club 2 - als Verfechter einer psychogenen Krebstheorie auf und schadet dadurch der seriösen Psychoonkologie. Nach Dr. Hamers Ansicht ist Krebs einerseits eine Erkrankung des Gehirns (sogenannte Hamersche Herde "steuern" das Krebsgeschehen) bzw. eine Krankheit der Seele (ein schwerer Konfliktschock löst die Krebserkrankung aus). Schon die Gleichsetzung bzw. Verwechslung von Gehirn und Seele mutet seltsam an.

Die direkte Kausalgenese, die Hamer postuliert, ist nicht Ansicht der Psychoonkologie und durch nichts belegbar. Wir meinen hingegen, in einem psychosomatischen Sinn, daß seelische Einflüsse bei jeder Erkrankung und bei jedem Heilungsprozeß eine Rolle spielen. Es ist nicht einzusehen, warum dies beim Krebs nicht so sein sollte.

Der Einfluß der Psyche auf das Immunsystem ist durch viele Studien belegt. Weiters ist bekannt, daß viele Krebserkrankungen mit überzufälliger Häufigkeit in zeitlichem Gefolge nach Verlusterlebnissen auftreten. Der Einfluß von Psychotherapie auf die Überlebenszeit wurde eindrucksvoll in einer Studie von David Spiegel (Lancet 1989) belegt. Frauen mit Chemo- und Psychotherapie hatten eine doppelt so lange Überlebensrate wie Frauen, die lediglich Chemotherapie erhielten.

Dr. Hamer lehnt organmedizinische Maßnahmen wie Operation, Chemo- und Strahlentherapie in seinen Büchern strikt ab. Diese unverantwortliche Haltung wird von jeder seriösen psychoonkologischen Richtung mit Entschiedenheit zurückgewiesen.

Wichtig ist eine ganzheitliche Sicht des Menschen; wenn die Ängste, Nöte und Sorgen der Patienten nicht mitberücksichtigt bzw. mitbehandelt werden, fallen Krebspatienten leicht in die Hände von Extremisten, als welcher Dr. Hamer betrachtet werden muß.

Dr. Günther Linemayr, Österreichische Gesellschaft für Psychoonkologie