Heiliger Schauer

Ausgabe von DER SPIEGEL 37/1982, 12.09.1982

In der Bremer Talk-Show »III nach neun« stiftete ein Krebsarzt Verwirrung - neuer Tiefpunkt der einst beliebten TV-Sendung.

Mitternacht war schon vorüber, da entrang sich dem »III nach neun«-Moderator Günther Nenning ein dialektgefärbter Aufschrei der Entrüstung. »Dös is ja furchtbar«, moserte der Fernsehmann aus Österreich, »in wessen Händen sind wir?«

Seine Klage war, in der Nacht zum Samstag vorletzter Woche, an zwei Medizinmänner gerichtet, die laut Programmankündigung eine »neue Krebs-Theorie« diskutieren sollten. Doch unter der sachunkundigen Leitung des Wirtschaftsredakteurs Udo Kölsch hatte sich der Doktorenstreit zu einem quälenden Verwirrspiel entwickelt.

Ein medizinischer Außenseiter, der Internist Dr. Ryke Geerd Hamer, beherrschte mühelos die Szene im Bremer »III nach neun«-Studio - mit tollkühnen Thesen: Krebs, lehrte er, entstehe stets durch einen schweren, seelischen Konflikt; gelinge es, den Seelenknoten aufzulösen, verschwinde auf der Stelle auch die Krankheit. Zum Beweis hatte Hamer einen Patienten mitgebracht, der bestätigte, auf diese Weise - »ein Wunder« - vom Lungenkrebs genesen zu sein.

Gegen Hamer, ein ärztliches Irrlicht mit flackerndem Blick, hatte der rundliche Professor Ernst Krokowski, geladen als Anwalt der Schulmedizin, mit seinen Einwänden kaum eine Chance. Sichtlich entnervt durch die chaotische Gesprächsführung, überließ der Krebsexperte S.241 und Chef der Kasseler Strahlenklinik die Show schließlich seinem Widerpart.

Mit dem publikumswirksamen Auftritt des Tumoristen Hamer - rund 700 Zuschauer-Anrufe erreichten Radio Bremen noch am Abend der Sendung - ist unvermutet ein TV-Programm in die Schlagzeilen zurückgekehrt, das angeregte Unterhaltung schon lange nicht mehr zu bieten hatte. Denn seit der ARD-Gnom Radio Bremen im März die bewährten Talk-Master Marianne Koch, Karl-Heinz Wocker und Wolfgang Menge ausmusterte, ist die einst so fidele, pfiffige »III nach neun«-Schau nur noch ein schlafmütziger Dämmerschoppen.

Den neuen Stil in »III nach neun« enthüllte in der letzten Sendung eine typische Szene. Da trug, zum Entree, die hochgelockte Heidi Brühl den Schlager »Mamacita« vor. Nach der peinigend langen Darbietung trat entzückt - »bravo, bravo« - Moderator Eike Christian Hirsch ins Bild und meldete wahrheitswidrig: »Kaum ist Heidi Brühl da, schon ist die Stimmung da.« Solche anbiedernden Floskeln kannten die Zuschauer bislang eher von Sendungen wie dem »Blauen Bock«.

Der Bremer TV-Programm-Chef Hans-Werner Conrad mußte es doch wohl anders gemeint haben, als er, zur Verabschiedung der Talker Wocker & Co, verkündete, die Show müsse wieder »aufregender, bunter, chaotischer werden«. Die »III nach neun«-Redaktion hatte sich vorgenommen, »ein jüngeres Publikum anzusprechen«, das alte Team habe »Prominenz vergötzt«, sei »zu etabliert« gewesen.

Es war jedenfalls überaus populär, fast immer animierend, keß und vorwitzig. Bei »III nach neun« war Life in der Bude: Da war der Fritz Teufel los, der dem Minister Matthöfer die Wasserpistole auf die Brust setzte; eine enragierte Feministin übergoß einen unartigen Catcher mit Wein. Menge, der Knurrhahn, palaverte über Präservativ-Trockner aus dem Hause Beate Uhse; die Autorin Xaviera Hollander plauderte über ihr Leben als »Fröhliche Nutte«.

In »III nach neun« nannte, Skandal, ein Stierkämpfer den Regierungschef Begin ein »Schwein«. Der barsche Wocker biß einer Dame in den Finger. Sturzbetrunken erschien der Kabarettist Helmut Qualtinger. »III nach neun« - das war eine bekömmliche Mischung aus Belehrung, Witz und Anarchie.

Aber Komödiantisches, giftige Pointen sind nun nicht mehr gefragt. »Wo die Würstchen an die Macht kommen«, spottet Menge, »wird der Senf rationiert.« Gütig, immer nett hakt der NDR-Redakteur Hirsch, Theologe im Kirchenfunk, seine Fragen ab. Sein hölzerner Kollege Kölsch vom NDR-Wirtschaftsressort blickt düster in die Runde, als sei sein Sender gerade in den verdienten Konkurs gegangen. Schwerzüngig gesellt sich dazu der Wiener Nenning, S.242 der erfolglos schon früher in »III nach neun« gastiert hatte.

Mit schwindendem Plaisir liefen den Bremer Schwatz-Azubis auch die Zuschauer weg. Bis zu 17 Prozent der TV-Geräte waren noch Anfang 1982, in der Ära der Veteranen, etwa im Sendebereich des NDR eingeschaltet. Die Hirsch-Crew talkte die Beteiligungsquote in den Keller: Nur sechs Prozent erreichte die August-Sendung.

Am vorletzten Freitag allerdings lag die Einschaltquote deutlich höher - sicher kein Verdienst der Moderatoren: Offenbar angelockt vom Reiz-Thema Krebs, harrten bis tief in die Nacht mehr als drei Millionen Zuschauer aus, um die Botschaft des Tumor-Wunderdoktors zu empfangen. Exzentriker Hamer, in Rom ansässig, durfte beim gespannten Laienpublikum ungestört Punkte sammeln.

Im Jargon des ärztlichen Profis, doch mit Seitenhieben gegen die Schulmediziner ("Die haben doch alle Leichen im Keller"), explizierte er seine umstürzlerische Theorie. Talk-Master Kölsch ließ ihn hilflos gewähren - dabei hätten die »III nach neun«-Gastgeber wissen müssen, wen sie sich mit dem Erfinder der »Eisernen Regeln des Krebses« einhandelten.

Bislang nämlich hat sich noch jede medizinische Fachzeitschrift geweigert, Hamers krebstheoretische Arbeiten abzudrucken. Auch sein Versuch, mit einer Habilitationsschrift zum gleichen Thema an der Universität Tübingen die Lehrbefugnis zu erlangen, wurde einstimmig S.243 abgelehnt. Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf diese Niederlagen, so »III nach neun«-Redakteur Wolf Neubauer, habe sich Hamer um einen Auftritt in der Bremer Talk-Show beworben.

Der wurde ihm gern gewährt - womöglich weil Hamer vielen Zuschauern aus einem Kriminalfall bekannt sein dürfte, der vor ein paar Jahren Aufsehen erregt hatte. Damals, im Sommer 1978, war Hamers 19jähriger Sohn Dirk von dem italienischen Prinzen Vittorio Emanuele von Savoyen durch einen Karabinerschuß tödlich verletzt worden.

Zwei Wochen danach erkrankte Vater Hamer an Hodenkrebs, ein Ereignis, das der Tumor-Doktor inzwischen als eine Art Initialzündung beschreibt: Seither läßt ihn die Idee nicht mehr los, daß zwischen dem Schock beim jähen Verlust des Sohnes und seiner Krebserkrankung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen müsse.

Zunächst als Oberarzt in einer gynäkologischen Tumorklinik, später als hospitierender Wanderdoktor in deutschen und italienischen Krankenhäusern forschte Hamer nach Parallel-Fällen - und er fand sie angeblich, wo immer er danach suchte. Ein »heilig-schrecklicher Schauer« berichtete er, habe ihn anfangs dabei überkommen.

Mittlerweile hat er, wieder nüchterner, seine Erkenntnisse zu einem, wie er meint, »wissenschaftlich exakten« System verarbeitet. »Programmierungsfehler« im Gehirn, verursacht durch Psycho-Konflikte, haben danach zur Folge, daß »Fehl-Codes an die periphere Zelle geliefert werden, die dadurch entartet« - ein S.244 Theorie-Gespinst, in dem sich die »III nach neun«-Plauderer vorletzte Woche rettungslos verhedderten.

Mit Grabesmiene flehte Talker Kölsch die im Clinch verharrenden Kontrahenten Hamer und Krokowski an, sich doch wenigstens auf »ein paar Übereinstimmungen« zu einigen; es müsse doch, barmte auch Nenning, »bittschön was Positives« für die verstörten Zuschauer herauskommen; es kam nichts.

»Ist es überhaupt zulässig«, näselte Nenning schließlich, »daß vor dem Publikum so etwas aufgeführt wird?« Redakteur Neubauer hat die Frage beantwortet: Er hält - gelobt sei, was Krach macht - die entgleiste Talk-Show für »eine letztlich gelungene Sendung«. S

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»Da gibt es keine Brücke«

DER SPIEGEL 37/1982, 12.09.1982

SPIEGEL-Interview mit Professor Ernst Krokowski über die Hamer-Thesen

Krokowski

SPIEGEL: Herr Professor Krokowski, Sie kennen die schriftlichen Ausführungen, mit denen Dr. Hamer seine These begründet, die er im Fernsehen vortrug. Krebs, so behauptet er, entsteht durch seelische Konflikte. Wie beurteilen Sie das von Dr. Hamer vorgelegte Beweismaterial?

KROKOWSKI: Aus den Krankengeschichten, die mir zugänglich gemacht wurden, ist nicht der geringste Beweis für diese Hypothese abzulesen. Man müßte doch davon ausgehen, daß jemand, der eine Behauptung von solcher Tragweite öffentlich vorträgt, dabei die biologischen Voraussetzungen berücksichtigt, die auf der ganzen Welt durch experimentelle und andere Untersuchungen gesichert und bekannt sind. Nach all diesen Erfahrungen und Untersuchungen ist es aber nicht möglich, daß ein Krebs in der Weise entsteht und heranwächst, wie sich Herr Hamer das vorstellt. Welche Faktoren bei einer Krebsentstehung maßgeblich sind, das ist zum Teil bekannt, zum Teil nicht bekannt. Eine einheitliche Krebsursache, soviel ist sicher, gibt es nicht.

SPIEGEL: Der Kernpunkt der Hamerschen These ist ja, daß Krebserkrankungen, und zwar alle Arten von Krebs, als direkte Antwort auf einen Seelenkonflikt in Erscheinung treten, und zwar innerhalb von Wochen oder Monaten. Er bringt das Beispiel einer lungenkrebskranken Frau, deren Tumor im April 1982 entdeckt wurde. Sieben Monate vorher hatte sie, so behauptet Hamer, ihre schwerstes Konflikterlebnis gehabt: Sie machte sich Vorwürfe wegen des plötzlichen Herztodes ihres Ehemannes. Kann dieser Konflikt die Krebsursache sein?

KROKOWSKI: Schon allein vom Biologischen ist das nicht möglich. Wir haben gesicherte, durch vieltausendfach wiederholte Beobachtungen und Experimente bestätigte Erkenntnisse darüber, daß es nicht möglich ist, daß ein Krebs in einer Geschwulstgröße von, sagen wir, zwei bis vier Zentimeter innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten gewachsen ist.

Außerdem vermisse ich bei Herrn Hamer eine klare Unterscheidung, ob es sich wirklich um Konfliktsituation oder aber um einen seelischen Streß handelt. Die Studie von Herrn Hamer enthält so viele Begriffsverwirrungen, daß man sie erst entwirren müßte, um eine fundierte Diskussion führen zu können.

SPIEGEL: Einerseits definiert er den Konflikt, der angeblich dem Krebs zugrunde liegt, als - wie er schreibt - einen »Streit mit anderen oder mit sich selbst«. Andererseits nennt er bloße Streßsituationen als Krebsursache, zum Beispiel den Tod eines nahen Familienangehörigen.

KROKOWSKI: In der Konsequenz würde die These von Herrn Hamer bedeuten, daß der Krebs eine psychische Ursache hat und psychiatrisch behandelt werden kann. Alle Erfahrungen auf der ganzen Welt sprechen eindeutig dagegen. Krebs ist ein biologisches Geschehen. Dabei ist klar, daß seelische Faktoren den Krankheitsverlauf sowohl nach der positiven Seite wie auch nach der negativen Seite hin beeinflussen können. Das ist bei anderen Erkrankungen auch so, beim Schnupfen ebenso wie beim Gallenleiden und beim Herzinfarkt. Das weiß jeder Mediziner und wissen auch viele Laien, das ist eine Binsenweisheit.

Eine ganz andere Frage aber ist, ob seelische Faktoren in der Lage sind, eine solche biologische Zellveränderung auszulösen.

SPIEGEL: Bei allen von Hamer vorgelegten Krankengeschichten sind zwischen dem, wie er glaubt, ursächlichen Seelenkonflikt und dem Auftreten der Krebssymptome angeblich nur wenige Monate vergangen. Wie verträgt sich das mit den Erkenntnissen der Krebsforschung über die Wachstumsgeschwindigkeit von Krebsgeschwulsten?

KROKOWSKI: Es ist mit diesen Erkenntnissen überhaupt nicht in Einklang zu bringen. In einer Krebsgeschwulst von einem Zentimeter Durchmesser befinden sich zwischen 20 Millionen und einer Milliarde Zellen, je nach Geschwulstart. Da der Zeitraum, in dem sich das Tumorvolumen jeweils verdoppelt, ziemlich genau bekannt ist, läßt sich berechnen, daß eine Krebsgeschwulst von der Entstehung bis zur Nachweisgrenze ungefähr drei, in manchen Fällen sogar bis zu zehn Jahre braucht, aber nicht wenige Wochen oder wenige Monate. Diese Annahme ist also vom Biologischen her ganz abwegig.

SPIEGEL: Als zweite von seinen drei sogenannten »Eisernen Regeln des Krebses« betrachtet Dr. Hamer, daß der Inhalt des seelischen Konfliktes den Ort des Krebsgeschehens bestimmt. So würden zum Beispiel, behauptet er, Sexualkonflikte zu Gebärmutterkrebsen und Todesängste zum Lungenkrebs führen. Kann die seriöse Krebsforschung mit dieser Hypothese etwas anfangen?

KROKOWSKI: Nein, überhaupt nichts. Da gibt es überhaupt keine Brücke. Ich erinnere nur daran, daß, wie ich glaube, wir alle - jedenfalls die Älteren - im S.248 Krieg und nach dem letzten Krieg erheblichen Konflikt- oder Streßsituationen ausgesetzt waren. Man müßte, nach den Vorstellungen von Herrn Hamer, folgern, daß kurz nach dem Kriege - wenige Wochen oder einige Monate nach diesen Streßerlebnissen - die Krebsrate gewaltig hätte ansteigen müssen. Aber das war nicht der Fall.

SPIEGEL: Seelische Konflikte, die Dr. Hamer als krebsauslösend ansieht, treten zum Beispiel in der Pubertät oder auch bei jungen Erwachsenen erfahrungsgemäß eher gehäuft auf. Es müßte also in diesen Altersgruppen häufiger Krebs geben.

KROKOWSKI: Es steigt im Gegenteil die Krebserkrankungshäufigkeit, bezogen auf jeweils gleiche Jahrgangsstärken, ganz erheblich mit dem Lebensalter an. Das hieße doch, wenn man das in die Hamersche Vorstellung überträgt, daß im hohen Lebensalter die Konfliktsituationen sehr viel häufiger auftreten als in jüngeren Jahren. Es ist aber ersichtlich gerade andersherum.

SPIEGEL: Den seit fast zwanzig Jahren statistisch eindeutig erwiesenen Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebsrisiko leugnet Dr. Hamer. Er betrachtet das als »völligen Unsinn« und erklärt umgekehrt, das Rauchen sei Ausdruck des seelischen Konflikts, der den Krebs auslöst.

KROKOWSKI: Es gibt im Sinne der Beweisführung gegen Herrn Hamer noch günstigere Beispiele. Ich meine die sogenannten Berufskrebse ...

SPIEGEL: ... zum Beispiel, daß Asbestarbeiter gehäuft unter Lungenkrebs leiden.

KROKOWSKI: Ja. Es ist ja bekannt, daß Asbestarbeiter gehäuft einen Lungenkrebs bekommen, weil die Asbestnadeln sich beim Einatmen in der Lunge festsetzen und es durch diesen Reiz, durch die chemische Substanz, zur Krebsbildung kommen kann. Wollte man Herrn Hamer folgen, müßte man unterstellen, daß ausgerechnet die Asbestarbeiter vermehrt seelischen Konflikten ausgesetzt sind.

SPIEGEL: Als Ursache von Krebs nimmt Dr. Hamer - wir zitieren - einen »Programmierungsfehler im zentralen Nervensystem« an, also im Gehirn. Von dort, behauptet er, werde ein falscher Code zu den Zellen gesendet, so daß Krebszellen entstehen. Wie verträgt sich diese Vorstellung mit den gesicherten Erkenntnissen über die Biochemie der Krebszelle?

KROKOWSKI: Für diese Behauptung bleibt Herr Hamer jeglichen Beweis schuldig. Herr Hamer wirft zwei ganz verschiedene Begriffssysteme durcheinander, und zwar die neurophysiologische Seite, also die des zentralen Nervensystems, und auf der anderen Seite den psychischen Konflikt. Er setzt also stillschweigend voraus, daß die Seele, die Psyche, im Gehirn sitzt. Die alten Griechen meinten, sie säße im Zwerchfell. Wo die Seele sitzt, hat auch Virchow nicht auffinden können.

SPIEGEL: Besonders kühn erscheint die dritte der »Krebsregeln« von Herrn Hamer, die besagt, daß der Verlauf des Seelenkonflikts den Ablauf der Krebserkrankung bestimme. Anders ausgedrückt: Ist der Seelenkonflikt beigelegt, bildet der Krebs sich zurück, und der Patient wird geheilt. Herr Hamer hat einen angeblich von ihm geheilten Patienten sogar im Fernsehen vorgeführt.

KROKOWSKI: Zunächst darf ich sagen, daß ich von ganzem Herzen wünschen möchte, daß dieser Patient wirklich geheilt wird.

Nur: Die Krankheit des Patienten, den Herr Hamer vorgestellt hat, liegt ein halbes Jahr zurück. Wir wissen aus dem üblichen Verlauf von Krebserkrankungen, zum Beispiel in der Lunge, daß es durchaus Phasen der Besserung gibt; wenn eine begleitende Entzündung abklingt, kann es vorübergehend zu einer Besserung kommen. Die Besserung wird aber wieder zunichte, wenn beispielsweise dann die Mangeldurchlüftung der Lunge oder sonstige Symptome eintreten.

SPIEGEL: Wären so auch die Röntgen-Photos möglicherweise zu deuten, die in der Sendung den Anschein von Wissenschaftlichkeit erweckten?

KROKOWSKI: Dazu muß ich leider sagen, daß mir keine Gelegenheit gegeben worden ist, die Röntgenbilder aus der Nähe zu betrachten. Soweit ich es aus der Ferne sehen konnte, war eine Aufnahme zumindest, die wohl beweiskräftig sein sollte, deutlich überbelichtet, womit man also entscheidende Strukturen überstrahlt und damit »wegzaubert«. Die anderen Aufnahmen konnte ich aus der Entfernung nicht beurteilen.

Zumindest kann man grundsätzlich bei einer Krebserkrankung nicht von einer S.249 Heilung sprechen innerhalb von sechs Monaten. Sie wissen, daß die allgemeine Regel gilt, daß man erst nach fünf Jahren von einer Heilung, richtiger gesagt: von der Fünf-Jahres-Überlebensrate sprechen kann.

Man kann also nicht derart weitgehende Schlußfolgerungen, die darin gipfeln, daß Herr Hamer »eiserne Regeln« aufstellt, nach einer Beobachtungszeit von einem halben Jahr abgeben. Das ist auch von der Beurteilungsmöglichkeit des Krankheitsverlaufes her völlig ausgeschlossen.

SPIEGEL: Herr Professor, wie beurteilen Sie als jemand, der mit Krebskranken viel Umgang und Erfahrung hat, den Entschluß von Dr. Hamer, seine ungesicherten Thesen in der Bremer Fernseh-Talkshow vorzutragen?

KROKOWSKI: Wenn ich offen sprechen darf, möchte ich sagen: Es ist unverantwortlich.

Sie wissen, daß ich selbst mit gewissen Thesen herausgetreten bin, die etwas abwichen von der üblichen Auffassung;

(In einer kritischen Studie über die) (Gefahren von) (Krebsvorsorge-Untersuchungen (SPIEGEL) (41, 42 und 46/1978).)

aber ich habe sie beweisbar und nachprüfbar vorgelegt, und ich brauchte sie bis heute nicht zurückzunehmen.

Also: Es können schon neue Ideen auftauchen. Nur muß man sich an die wissenschaftlichen Grundregeln halten. Es muß nachprüfbar, beweisbar sein. Herr Dr. Hamer stellt Behauptungen auf, und als Beweis führt er an, was er selbst für richtig hält.

Wenn dieser Vortrag von Herrn Hamer nach fünf oder zehn Jahren gehalten worden wäre und er gesagt hätte, nach fünf Jahren kann ich vorweisen, daß ich von 100 oder 200 Patienten eine bestimmte Anzahl geheilt habe, dann wäre das eine Diskussionsgrundlage. Aber nach einem halben Jahr darf man so etwas nicht der Öffentlichkeit vorstellen.

SPIEGEL: Insbesondere das Fernsehen scheint dafür ein problematisches Forum.

KROKOWSKI: Nicht nur deshalb, weil es eine so große Breitenwirkung hat, sondern auch, weil bei vielen, die sich in einer Talkshow an dem Gespräch beteiligen, die Fachkunde fehlt.

Da können Thesen in den Raum gestellt werden, die von allen Krebsforschern der ganzen Welt widerlegt werden und vor denen eigentlich alle nur warnen können, weil sie bei Patienten falsche Vorstellungen wecken. Welche Gefahr für Zuhörer und Zuschauer! Krebskranke, die Herrn Hamer folgen, könnten Operation und Bestrahlung zur Behandlung ihres Krebses ablehnen.

Dabei kann ich mir allerdings nicht vorstellen, daß ein verantwortungsbewußter Psychotherapeut sich auf eine primäre Behandlung einer Krebsgeschwulst, so wie Herr Hamer es vorschlägt, einlassen würde.

S.249 In einer kritischen Studie über die Gefahren von Krebsvorsorge-Untersuchungen (SPIEGEL 41, 42 und 46/1978). S 

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